In den letzten zehn Jahren sind in der Schweiz über 10'000 Bauernhöfe Opfer dieses «Strukturwandels» geworden. Vor allem kleine und mittelgrosse Betriebe verschwinden. Das sind etwa drei pro Tag. Trotzdem sieht man kaum leerstehende Bauernhäuser und keine Höfe, die abgebrochen werden. Warum werden Bauern überhaupt bodenlos? Warum müssen sie aufhören? Was passiert mit ihren Höfen? Und warum werden diese nicht von den erwachsenen Kindern weitergeführt?
Verschuldung und Nachfolgermangel
Auf der Suche nach Bauernbetrieben, die in naher Zukunft gezwungen sind aufzuhören, ist mir erst so richtig bewusst geworden, wie belastend ein solches Ende ist. Für einen Hof, der vielleicht seit mehreren Generationen von derselben Familie bewirtschaftet worden ist, lässt sich heute immer häufiger kein Nachfolger aus der Familie finden.
Auch wirtschaftliche Gründe zwingen Bauernbetriebe zur Aufgabe. Durch den tiefen Milchpreis verlieren die Milchbauern ihr Einkommen und verschulden sich immer mehr.
Noch schlimmer erwischt es Bauern in den besten Jahren ihres Lebens, wenn sie den Hof nur gepachtet haben und plötzlich ihre Pacht verlieren, weil der Hof verkauft wird. Dann ist die ganze, mühsam aufgebaute Existenz weg.
Grosse Betriebe sind vom Strukturwandel weniger betroffen. Je mehr Fläche ein Bauernhof hat, umso üppiger sind auch die Direktzahlungen des Bundes. Wenn ein Bauer aufgibt, verkauft oder verpachtet er sein Land meist einem Nachbarn. Dieser kämpft vielleicht mit ähnlichen Problemen. Aber dank des zusätzlichen Landes, erhöhen sich auch seine Chancen, als Betrieb zu überleben.
Paradoxe Situation
Wer in diesem System leer ausgeht, sind jene Bauernfamilien, die einen Hof mit Land suchen. Denn dem «Bauernhof-Sterben» steht paradoxerweise eine starke Nachfrage nach landwirtschaftlichen Betrieben gegenüber. Schweizweit suchen unzählige junge, ausgebildete und berufserfahrene Landwirtinnen und Landwirte oft jahrelang erfolglos nach einem Hof. Denn pensionierte Bauern verpachten lieber ihr Land und leben weiterhin auf dem Hof. Würden sie verkaufen, droht ihnen früher oder später der Gang zum Sozialamt.
Es war nicht einfach, Bauern zu finden, die über ihre Probleme, Hoffnungen und Enttäuschungen reden. In «Bodenlos» habe ich vier gefunden, die es trotzdem tun.
Die Protagonisten
Die verschuldeten Milchbauern
Ein Milchbetrieb im Berner Seeland. Lisa und Hans Schori besitzen einen schönen, hellen Laufstall mit Kühen und Gustis (Rinder im zweiten Lebensjar). Mittendrin im Stall steht ein Melkroboter. Er läuft Tag und Nacht. Die Tiere gehen selbständig auf die Plattform, werden gemolken und am Schluss mit einer Portion Kraftfutter belohnt. Ein perfekter, topmoderner Betrieb. Doch der Schein trügt: Die Schoris gestehen, dass sie hoch verschuldet sind und den Hof kaum halten können. Mit dem tiefen Milchpreis schreiben sie seit zwei Jahren nur noch Verluste. «Es braucht keine Schweizer Bauern mehr. Alles kann aus dem Ausland importiert werden», sagt Hans Schori nicht ohne Ironie. Er und seine Frau Lisa sind Milchbauern mit Leib und Seele. Sie stehen für viele Schweizer Milchbauern, die heute um ihre Existenz kämpfen müssen. Probleme hat vor allem, wer Schulden bei der Bank hat. «Die Politiker kümmert es nicht, dass wir für den Liter Milch im Schnitt nur noch 51 Rappen erhalten. Unser Stundenlohn ist null Franken, während die Milchverarbeiter mit unserer Milch Millionen verdienen», kritisiert Schori. Innerhalb sehr kurzer Zeit ist der Milchpreis in der Schweiz um einen Drittel eingebrochen.
Die Pächter und der Bau-Boom
«Bald werden auf dieser Weide Häuser stehen. Es ist schliesslich eine bevorzugte Wohnlage», stellt Sepp Etterlin lakonisch fest. «Erstklassiges Kulturland, schade darum. Leider treffen hier andere die Entscheidungen.» Sepp Etterlin ist einer der letzten Bauern mitten in Emmen. 45 Jahre lang hat er mit seiner Frau den Hof bewirtschaftet. Jetzt ist Schluss. Bereits ist der Hof von Neubauten umzingelt. Vom Bau-Boom wird das Paar nicht profitieren. Sie waren auf dem Hof lediglich Pächter. An einer Gant werden Vieh und Fahrhabe versteigert. Der Erlös ist ihre Pension.
Die suchenden Biobauern
«Zwei ausgebildete Landwirtinnen und ein Allrounder suchen Bauernhof»: Dieses Inserat ist in lokalen Zeitungen im Emmental erschienen. Seit drei Jahren sind die zwei Familien Marti und Büetiger mit drei Kindern auf der Suche nach einem Hof, den sie gemeinsam bio-dynamisch bewirtschaften wollen. Das Inserat bringt einige Kontakte, aber keiner führt schlussendlich zum Ziel. Hoffnung und Enttäuschung liegen inzwischen nahe beieinander. Aber sie geben nicht auf, bleiben zuversichtlich und konzentrieren sich inzwischen als Team auf einen grossen Kräuter- und Gemüsegarten. Ihre Produkte verkaufen sie auf dem Markt. Der Traum vom eigenen Hof ist eine einzige grosse Geduldsprobe.
Die pensionierten Idealisten
«Unsere Hoffnung, dass unser Hof nach unserer Pension als Bauernbetrieb weiter geführt wird, hat sich vorläufig zerschlagen», muss Werner Bättig resigniert feststellen. Viele Jahre lang haben er und seine Frau Tina sich auf diesen Moment vorbereitet. Sie haben Konzepte erstellt und mit Interessenten gesprochen. «Manchmal standen wir kurz vor einer Lösung, dann gab’s plötzlich wieder einen Rückschlag». Über 40 Jahre lang haben die beiden den Berghof geführt. Mit 10 Milchkühen und einer kleinen Käserei. Keines der vier Kinder hatte Lust, den Hof zu übernehmen. Zu streng die Arbeit an den steilen Hängen und zu abgelegen das Gehöft. Das Paar musste sich für eine Lösung entscheiden, die heute viele Bauern bei der Pensionierung treffen: Sie wohnen auch in Zukunft auf dem Hof und verpachten das Land. Finanziell ist dies für sie die beste Lösung. Würden sie den Hof verkaufen und wegziehen, würden sie trotz Verkaufserlös in ein paar Jahren zum Sozialfall.