«Du musst reden, das Ganze nagt an deiner Psyche», sagt Stefanie zu ihrem Mann Vanjo. Es geht um den unerfüllten Kinderwunsch des Paares aus dem Baselbiet. Die beiden lernen sich vor sieben Jahren während der Ausbildung kennen. Die Liebe war sofort da, der Kinderwunsch auch. Es kam aber anders als geplant.
Männlichkeit auf dem Prüfstand
«Der Arzt sagte zu mir: ‹Heute Abend wäre es passend.› Es war dann einfach Sex auf Kommando, der Zauber ging verloren.» Geschlechtsverkehr nach Plan markiert für das Paar den Anfang einer schwierigen Lebensphase: Stefanie wird auf natürlichem Weg nicht schwanger.
Es folgt eine beinharte Diagnose für Vanjo. Der Arzt stellt ein sehr schlechtes Spermiogramm fest. «Ich sass dort und dachte ‹Scheisse›. Ich habe meine Männlichkeit infrage gestellt.»
Bei Vanjo beginnen die Selbstzweifel: «Warum passiert das bei mir? Was habe ich falsch gemacht? Das Gedankenkarussell drehte immer weiter, ich konnte es nicht mehr abstellen.» Für Stefanie bleibt der Kinderwunsch trotz Vanjos Diagnose stark. Auch sie lässt sich untersuchen, erhält aber keine eindeutige Diagnose.
Wechselbad der Gefühle
Das Paar entschliesst sich für die Kinderwunschklinik. Die Behandlung dauert mehrere Jahre. «Der Sinn des Lebens ist eine Familie», sagt die 39-Jährige unter Tränen. Mittlerweile ist Stefanie Stammkundin in der Kinderwunschklinik in Basel und hat bereits den 4. Versuch einer ICSI-Behandlung hinter sich.
Auf dem Weg zum Schwangerschaftstest in der Klinik sagt Stefanie: «Wir müssen positiv bleiben, aber die vielen Enttäuschungen machen es schwer.»
Es gibt viele Abende, da weine ich ununterbrochen.
Auch der 5. Versuch scheitert. Die Reproduktionsmedizin kann den Traum von eigenen Kindern bei Stefanie und Vanjo bis heute nicht erfüllen. Stefanie sagt: «Es gibt viele Abende, da weine ich ununterbrochen. Das Leben vor der Kinderwunschklinik war unbeschwerter.»
Doch die beiden geben nicht auf, die Hoffnung trägt das Paar auch nach über fünf Jahren Kinderwunschzeit.
Gesprächsgruppen als Zufluchtsort für trauernde Frauen
Julias Arm ist frisch tätowiert. Acht miteinander verbundene Punkte markieren acht Fehlgeburten. «Für mich war die Tätowierung ein Trauerritual, jetzt sind sie dabei.» Über ihre ungeborenen Kinder spricht die 40-Jährige aus dem Kanton Bern in einer Gesprächsgruppe für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch.
Solche Schicksale machen einsam, erklärt Gruppenleiterin Jeannine Donzé. Die Thematik sei schambehaftet und in der Gesellschaft tabuisiert. Die Gesprächsgruppe bietet den Frauen einen geschützten Raum für die Trauer.
«Ich erlebe in der Trauer Phasen des Nebels, das ist schwer für mich. Ich weiss dann nicht, wann das Dumpfe wieder aufhört», sagt eine Teilnehmerin. «Der Austausch mit den Frauen hilft. Die Trauer kommt zwar immer wieder, aber sie geht auch wieder», ergänzt eine andere.
Wenn der Umgang mit dem Schicksal in unterschiedliche Richtungen zieht
Für Julia ist die Trauer gerade sehr aktuell, kürzlich wurde sie 40. «Vierzig ist ein Schild» – Julia meint die biologische Uhr.
Wir entschieden uns als Paar, das wir gerne Kinder haben möchten. Jetzt entscheide ich allein, dass ich kein Kind mehr will.
Ein Funke Hoffnung, doch noch Mutter zu werden, ist trotz Alter und acht Fehlgeburten geblieben. Nicht so bei Chris, dem Partner von Julia: «Wir entschieden uns als Paar, dass wir gerne Kinder haben möchten. Jetzt entscheide ich allein, dass ich kein Kind mehr will.»
Es gab Zeiten, da glaubte ich, ich werde nie mehr glücklich.
Alle sechs Monate durchlebt Chris mit Julia eine Fehlgeburt. Die Belastung in den letzten Jahren sei heftig gewesen. Chris fällt in eine Depression, kann zeitweise nicht mehr arbeiten. «Es gab Zeiten, da glaubte ich, ich werde nie mehr glücklich.»
Heute geht es Chris besser, unter anderem dank einer Therapie und der Musik. Er versuche wieder zu leben, auch wenn die Antwort, warum das Paar kinderlos ist, ausbleibt.
Chris sticht sich das Schicksal, wie seine Partnerin Julia, unter die Haut – ein Zitat von Bob Dylan: The answer is blowing in the wind.
Angst vor dem Alter ohne Kinder
«Ich wäre eine positive, fürsorgliche, liebevolle Mutter gewesen», sagt Regula, während sie Schürzen für ihren eigenen Restaurantbetrieb näht. Regula ist 45 Jahre alt und hat den Kinderwunsch losgelassen. «Das Thema wird mich trotzdem ein Leben lang begleiten und mich auch immer wieder traurig machen.»
Regula erzählt vom Älterwerden und von der Angst davor, einmal allein zu sein. Deshalb wolle sie sich frühzeitig mit möglichen Lebensformen im Alter beschäftigen. Sie sei auch zuversichtlich, dass es andere Menschen geben werde, die sich um sie kümmern werden.
Ungelebtes ruft nach Ablenkung
Zusammen mit ihrem Mann Michel leitet Regula verschiedene Gastronomiebetriebe in Bern. Die beiden führen ein intensives Leben. Sie erzählen von Ungelebtem in ihrem Leben. Beide haben sich aus vollem Herzen ein Haus mit Kindern gewünscht.
Man kann eine Beziehung oberflächlich leben, das haben wir nicht gemacht.
Der unerfüllte Kinderwunsch hat während zehn Jahren die Beziehung gefordert. Michel fasst zusammen: «Man kann eine Beziehung oberflächlich leben, das haben wir nicht gemacht. Es gab viele emotionale Schwankungen.»
Mittlerweile gehen die beiden seit 18 Jahren gemeinsam durchs Leben. Sie hätten das «volle Programm» durchgezogen. Auch die künstliche Befruchtung hat das Paar ausprobiert.
«Der intensive Wunsch nach Kindern hat schon nach Ablenkung gerufen.» Michel hat gerade sein 10. Restaurant eröffnet. Das Aktive im Beruf habe geholfen: Michel hat einen Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch gefunden: Es sei eine Mischung zwischen «sich mit dem Thema beschäftigen, etwas anderem Platz lassen und vielleicht auch ein bisschen Verdrängung».
Ungewollte Kinderlosigkeit und Trauer als Chance verstehen
«Es ist für mich existenziell, er ist meine Familie, das verbindet noch mehr». So beschreibt Julia ihre Beziehung zu Chris. Das Paar investiert durch das Schicksal noch bewusster in die Beziehung.
Hilfe und Gesprächsgruppen
Auch Regula und Michel erzählen von Freundschaften mit anderen Paaren, die durch die Kinderlosigkeit entstanden sind, und von Freiheiten, die mit Kindern so nicht möglich wären.
Vanjo und Stefanie haben durch die Kinderwunschzeit gelernt, über alles zu reden. Das Schwere bringt zuletzt auch viel Verbindendes.