«Wir wollen eine Landwirtschaft betreiben, bei der es allen gut geht: dem Boden, den Pflanzen, den Tieren – aber auch den Menschen», sagt Tina Siegenthaler (36). Seit drei Jahren pachtet die Landwirtin mit ihrem Partner Finn Thiele den Biohof «Fondli». In Dietikon bei Zürich bauen sie auf 20 Hektaren Obst und Getreide an. Daneben sind 35 Rinder auf dem Hof. Eine vielschichtige und damit aufwendige Betriebsstruktur.
Knochenarbeit Biolandbau
«Wir arbeiten zwischen 250 und 300 Stunden im Monat», sagt Finn Thiele, der nach einer Zweitausbildung zum Landwirt seinen Traumberuf gefunden hat. Dafür zahlen sich Tina Siegenthaler und Finn Thiele je CHF 1700 Lohn aus. Das soll sich ändern. Sie wollen ihren Hof auf das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) umstellen. Die Idee: Produzentinnen und Konsumenten arbeiten direkt zusammen, um eine wirklich nachhaltige und faire Landwirtschaft zu erreichen.
Gemeinsam auf den Acker
500 Konsumentinnen verpflichten sich für mindestens eine Saison, Lebensmittel von einem Produzenten zu beziehen, und bezahlen dafür im Voraus einen fixen Betrag. Das Geld deckt sämtliche Betriebsausgaben. Doch damit ist es nicht getan: Die Konsumenten arbeiten eine Woche pro Jahr aktiv auf dem Hof mit. Anbau und Ernte werden unter Anleitung von Profis gemeinsam geplant und umgesetzt. Auf diese Weise erhalten die Landwirte bessere Preise und bessere Löhne. Und die Mitglieder der Genossenschaft erleben die Herausforderungen der Landwirtschaft direkt mit und erhalten einen konkreten Bezug zu ihrem Essen.
Die Rechnung
Um die jährlichen Betriebskosten des Hofes zu decken, sind voraussichtlich CHF 740‘000 nötig. Ein Voll-Abo mit allen Produkten kostet CHF 2‘890 pro Jahr. Dafür gibt es Gemüse (1 Tasche/Woche), Obst (ca. 1,6 kg/Woche), Fleisch (3x5 kg/Jahr), Sonnenblumenöl (ca. 2 Liter/Jahr) und Getreide (ca. 32 kg/Jahr). Und auf Wunsch Tofu, Brot und Eier. Die CHF 240 im Monat entsprechen etwas mehr als einem Drittel der Lebensmittelausgaben eines durchschnittlichen Schweizer Haushalts.
Wieder Bauern sein
Auch Ruth Meyer Kopp arbeitet auf dem Fondli-Hof: «Mit einem grossen Garten, den viele bewirtschaften, ist man unabhängig. Man kann kommen, wenn man Zeit hat. Wenn man im Sommer in den Ferien ist, dann arbeiten andere und das Gemüse geht nicht kaputt.»
Für Ruth Meyer Kopp stehen Aufwand und Ertrag in Einklang. «Gerade jetzt, wo wir eine schwierige Zeit haben mit dem Virus, war die Nachfrage nach regionalen Nahrungsmitteln noch grösser, damit man nicht auf das Ausland angewiesen ist.»
Anpacken im Berggebiet
Auch die Landwirtschaft in den Bergen steht unter Druck. Raues Klima, steile Hänge, viel Handarbeit und teure Maschinen machen die Produktion aufwendig. Jonas Lei, Bergbauer aus Vals im Kanton Graubünden, arbeitet aus Leidenschaft.
Er räumt und pflegt seine für die Biodiversität wertvollen Wiesen. Neben den Direktzahlungen lebt er von den Produkten seiner Tiere. «Ich mag es, wenn ich weiss, wohin meine Produkte gehen. Deshalb interessiere ich mich für die Idee der Solidarischen Landwirtschaft.»
Der Hof von Jonas Lei ist einer von fünf Betrieben, die sich dem Experiment «Berg-Solawi» angeschlossen haben. An einigen Schnuppertagen haben interessierte Konsumenten die Bergbauern unterstützt und nun haben 20 Personen eine Genossenschaft gegründet.
Tex Tschurtschenthaler gehört zur Kerngruppe: «Damit die Berg-Solawi mit den vorgesehenen fünf Betrieben funktioniert, brauchen wir etwa 400 Haushalte.» Er engagiert sich aus Überzeugung für die Landwirtschaft. «Ich möchte nicht warten, bis etwas passiert. Ich möchte selber etwas verändern.»
Wer bei der Berg-Solawi mitmacht, verpflichtet sich für drei Jahre. Pro Jahr zahlen die Mitglieder CHF 1100, zudem sind drei Tage Mitarbeit geplant. Dafür gibt’s Fleisch, Käse und Apfelsaft direkt aus den Bündner Bergen.
Aller Anfang ist schwer
Das Projekt in Dietikon läuft mittlerweile seit acht Monaten. Im ersten Jahr wird die Solidarische Landwirtschaft «ortoloco» einen Verlust von CHF 50'000 schreiben. Doch Tina Siegenthaler nimmt es gelassen: «Es wäre utopisch anzunehmen, dass unser Budget schon im ersten Jahr aufgeht.» Und es geht für sie um viel mehr als nur darum, einen Bauernhof zu führen und Lebensmittel zu produzieren.
«Was wir machen ist auch ein gesellschaftliches Projekt, bei dem man schauen will, wie man das Ernährungssystem transformieren kann.» Die Idee der Solawi sei eine Chance, Verantwortung zu übernehmen für seine Lebensmittel, und zu essen, was man eigenhändig gesät und geerntet hat.