SRF DOK: Was waren die grössten Herausforderungen bei der Entstehung des Films?
Anka Schmid: Eine Herausforderung war das nomadische Leben der Dompteurinnen und ihre unvorhersehbaren Tournee-Änderungen. Wir haben in verschiedenen Ländern gedreht: in Deutschland, in der Schweiz, Frankreich, Russland, Katar. Zum Filmen im Ausland braucht es Drehgenehmigungen, Flugtickets, Hotelreservationen, und viel mehr – aber im Voraus war nie ganz klar, wo wir unsere Frauen mit ihren Tieren antreffen werden.
Dieser Spagat zwischen Drehplanung und spontanen Änderungen der Zirkustourneen forderte einiges an Improvisations- und Organisationstalent. Zum Beispiel war geplant unsere ägyptische Dompteurin in ihrem Heimatland zu filmen. Doch wegen den politischen Unruhen war dort der Zirkusbetrieb lahm gelegt und unsere Protagonistin woanders auf Tournee, so dass wir sie schliesslich in Katar filmten. Die Russinnen waren kurz vor Dreh noch in der Mongolei unterwegs und sind zum Glück rechtzeitig mit ihren Tieren in Perm, einer Stadt im Ural, eingetroffen.
Welche Begebenheiten beim Dreh haben Sie am meisten überrascht?
Ich wollte vier verschiedene Frauen in unterschiedlichen Ländern porträtieren, aber dass die Situationen so unterschiedlich sein werden, habe ich trotz Recherche nicht geahnt. Teils sind es kulturelle Differenzen, teils auch individuelle. So hat Carmen Zander als Frau, und ohne traditionelle Zirkusfamilie im Hintergrund, öfters Konflikte mit Männern austragen müssen, die sie beim Auf- und Abbau schikanierten und boykottierten. Hingegen wurde Anosa sehr zuvorkommend und mit grösstem Respekt behandelt. Ihre Realität war ganz anders als unser Vorurteil der «unterdrückten arabischen Frau mit Schleier».
Was war die erstaunlichste Reaktion auf Ihren Film?
Ich hatte das Glück, meinen Film in Indien zeigen zu können und war sehr erstaunt, wie gebannt dort das Publikum den Film verfolgte. In der anschliessenden Diskussion erfuhr ich, dass es in Indien diese Form des Zirkus nicht gibt und sie dank dem Film eine ganz neue und für sie «exotische» Situation erfahren durften. Sie waren extrem beeindruckt von den Frauen und ihrem Mut, den Raubtieren und insbesondere den Tigern so nah und ungeschützt gegenüber zu treten.
Was ist seit der Fertigstellung des Films geschehen – bei den Protagonisten, bei Ihnen?
Die überraschendste Veränderung war die Heirat der jungen Russin Alyia, die aber leider nicht lange angehalten hat. Carmen hat inzwischen zwei junge, weisse Tiger und trainiert fleissig mit ihnen. Anosa kann wieder in Ägypten auftreten und ihr Bruder konnte nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder sein Zuhause besuchen. Namayca ist mit ihrer Familie in die Nähe von Paris gezogen, weil sie dort einen eigenen Tierpark inklusive Zirkus aufbauen konnten.
Ich selber war mit dem Film auf Tournee, zum einen in den Schweizer Kinos und zum andern auf internationalen Festivals, wie in Moskau und Kairo. Dort haben wir unsere Protagonistinnen eingeladen und es gab innige Wiedersehen. Für mich war es sehr berührend, wie die Frauen beim Filmschauen alles noch viel «unschuldiger» miterlebten und zum Beispiel erneut geweint haben, als im Film ihre Tiere krank werden.
Bei welchem Dokumentarfilm bzw. Spielfilm hätten Sie gerne selbst Regie geführt?
Spontan fällt mir der Spielfilm «Thelma & Louise» ein, weil ich die Schauspieler und Schauspielerinnen ganz toll finde und gerne mal mit Susan Sarandon, Geena Davis, Brad Pitt oder Harvey Ketel drehen würde. Und weil mich die Landschaft an meinen einjährigen Aufenthalt bei den Hopi Indianern erinnert und eine Sehnsucht in mir weckt.
Geht es um Dokumentarfilme, hätte ich gerne einen frühen Film von D. A. Pennebaker gedreht, entweder «Don't Look Back» (1967) mit Bob Dylan oder «Primary» (1960) mit John F. Kennedy. Damals waren die Menschen vor der Kamera noch viel «unschuldiger» und selbst Berühmtheiten, wie Popstars oder Politiker gaben sich unverstellt und offen. Zudem wurden diese Dokumentarfilme mit teurem Filmnegativ gedreht, was eine sorgfältigere Arbeitsweise bewirkte und etwas Magisches hatte, weil man zwei, drei Tage warten musste, bis man die entwickelten Filmaufnahmen anschauen konnte.
Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen und warum gerade diesen?
«Heart of a Dog» von Laurie Anderson, ein wunderbar poetischer Essayfilm. Für mich ist diese Künstlerin ein grosses Vorbild, weil sie neue und eigene Wege ging und sich als eine der ersten Frauen im Musik- und im Kunstbereich weltweit Beachtung verschaffen konnte. Zudem hat mich der Titel des Films sehr angezogen, schliesslich gibt es einige Verwandtschaften zwischen «Heart of a Dog» und «Gentle Beasts» und diese Gemeinsamkeiten, beziehungsweise Gegensätze wollte ich herausfinden.