SRF DOK: Sie dokumentieren das Leben von Mehmet Göker nun schon viele Jahre. Was fasziniert Sie so an ihm?
Klaus Stern: Das erste Mal getroffen habe ich ihn 2006. Aber es hat Jahre gedauert, bis er mit mir gedreht hat. 2012 kam dann mein erster Film über Mehmet Göker. «Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere Mehmet Göker» gehört zu den meist gespielten Dokumentarfilmen im Fernsehen der letzten Jahre in Deutschland. Ich finde anhand seiner Person kann man sehr schön pars pro toto die provisionsgetriebene Arbeitsweise der Versicherungen und deren Vertriebe ablesen. Was bestimmt nicht als verbraucherfreundlich bezeichnet werden kann.
In Ihrem zweiten Dokumentarfilm über Mehmet Göker kommt der Protagonist nicht wirklich gut weg. Haftbefehl, laufende Ermittlungen, Insolvenz seiner Firma. Warum hat er Ihnen dennoch erlaubt, so tief in sein Leben zu schauen – und dies alles noch öffentlich zu machen?
Er mochte den ersten Film. Neue Mitarbeiter mussten sich den Film gar immer wieder als Motivationsfilm anschauen. Schaut her, so wird’s gemacht. Und Mehmet Göker hat eine ganz andere Wirklichkeitsauffassung als Sie und oder ich. Für ihn ist der zweite Film ein Comebackfilm. Schaut her, ich bin wieder ein Player und weiterhin im Geschäft.
Was ist der aktuelle Stand?
Er wird zurzeit mit internationalem Haftbefehl gesucht und darf nicht mehr in die EU einreisen. Aber die Türkei liefert ihre Staatsbürger nicht nach Deutschland aus. Nach meinem Wissensstand macht er immer noch das Gleiche und geht den gleichen Geschäften nach, wie sie im Film zu sehen sind. Er «optimiert» private Krankenversicherungen von Kunden aus Deutschland. Eine Strohfirma aus Deutschland ist dazwischen geschaltet. Und die Mitarbeiter am Telefon benutzen weiterhin Fantasienamen.
Mehmet Göker sagt im Film, er sei ein Vorbild für tausende Migranten – dass es auch ein Türke schaffen kann. Hat Mehmet Göker es denn tatsächlich geschafft?
Er hat eine wirklich beachtliche Anhängerschar. Das sieht man an seiner Facebookseite, mit der er immer neue Mitarbeiter anwirbt. Aber geschafft? Er hat im Gegenteil beachtliche Mühe, sich über Wasser zu halten und damit, den Fängen der Justizbehörden und seiner Gläubiger immer wieder zu entkommen.
Im Film fragt Mehmet Göker Sie sogar einmal, ob er sich einen Bart wachsen lassen soll. Sie verbrachten als Dokumentarfilmer viel Zeit mit ihm. Wie sind Sie mit der Balance zwischen Nähe und Distanz umgegangen?
Überhaupt nicht. Ich respektiere ihn. Aber sieze ihn auch noch nach 10 Jahren.
Als was sehen Sie ihn? Als Verführer, der andere benutzt? Als cholerischer Getriebener, als Hochstapler? Oder gar als Betrüger?
Er hat viele Talente, die er nicht immer zu legalen Dingen benutzt. Die Anklageschrift wirft ihm Betrug und Diebstahl vor. Und ohne Zweifel: Er ist ein grosser Menschenfänger. Ein guter Verkäufer. Aber kein guter Kaufmann, würde ich sagen. Sonst wäre er nicht in dieser Lage.
Er wurde unterdessen Vater. Wie geht es der Familie Göker? Wo leben sie?
Sein Sohn lebt mit der Mutter in der Schweiz. Eine Familie Göker, würde ich sagen, gibt es in dem Sinne nicht.
Und ist das Kapitel «Mehmet Göker» für Sie als Dokumentarfilmer nun abgeschlossen?
Wenn keine wirklich dramatischen Dinge mehr passieren, sollte die Geschichte erzählt sein. Wobei man sagen muss: Mehmet Göker wäre auch für einen dritten Teil gut.