Einladungen zu Presseveranstaltungen aller Art sind für uns Journalisten üblich. Diese jedoch führt mich in eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren US-Geschichte und wird sich als Farce entpuppen. Bevor mein Kameramann und ich überhaupt den Charterflug zur US-Militärbasis Guantanamo auf Kuba besteigen dürfen, müssen wir eine 13-seitige Verbotsliste unterschreiben.
Wir verpflichten uns, keine Gesichter zu filmen – weder von Insassen noch vom Personal. Vom Lager sind nur genau definierte Aufnahmen erlaubt. Zudem will das Militär jeden Abend unsere Filmaufnahmen ansehen – und nach Gutdünken löschen. Eigentlich Bedingungen, auf die keine Journalistin eingehen sollte.
Am frühen Morgen erwarten uns die Pressesprecher des US-Militärs vor dem Bungalow. Sie werden uns nicht aus den Augen lassen, bis wir wieder zu Bett gehen.
Camp X-Ray: Gefangene in Gitterkäfigen
Unsere Unterkunft ist eine halbe Fahrstunde von den Gefängnissen entfernt. Erste Station: Camp X-Ray – ein Mahnmal wider Willen. Seine Zerstörung wird durch einen US-Gerichtsbeschluss verhindert, die Gitterkäfige sind Beweismaterial. Denn hier hat nach 9/11 alles angefangen. Die USA stampften das Freiluftgefängnis Ende 2001 aus dem Boden, um der ganzen Welt zu zeigen, was sie mit angeblichen Terroristen machen. Hier also kauerten die Männer in den orangen Overalls mit geschwärzten Taucherbrillen, Kopfhörern und Mundschutz am Boden.
«Was ist das?» Ich stehe in einem Käfig und schaue auf ein am Gitter befestigtes Rohr, in das die Gefangenen in der brütenden Hitze urinieren mussten. «Anus» hätten die Soldaten es genannt. «Keine schlechte Idee», meint der Pressesprecher schmunzelnd, schliesslich seien das gefährliche Terroristen gewesen. Die Informationslage des Pentagon lässt aufhorchen: Die US-Regierung hat schon vor Jahren eingeräumt, dass 90 Prozent der 779 Häftlinge, die seit 2002 auf Guantanamo eingesperrt waren, keine al-Kaida-Kämpfer sind.
Zwangsernährung der Häftlinge im Hungerstreik
In Holzhütten gleich hinter Camp X-Ray wurden die Insassen rund drei Jahre lang verhört und gefoltert. Unser gesprächiger Medienbegleiter verstummt, als ich ihn zu den Verhörmethoden befrage. Ich merke: Je kritischer die Fragen, desto kürzer die Führung. Kein Kommentar zu den «erweiterten Verhörmethoden». Heute aber, versichert der Pressesprecher, würden alle Gefangenen so behandelt, «wie wir es selber gerne hätten». Ich denke an die Zwangsernährung der Häftlinge im Hungerstreik. Im Gefängnisspital wird uns der mit Hand- und Fussfesseln versehene Stuhl erst auf Nachfrage gezeigt. Ein Militärarzt deutet auf eine Büchse Olivenöl. So würde der durch die Nase eingeführte Schlauch «problemlos» in den Magen gleiten. Ehemalige Häftlinge aber berichten, die Zwangsernährung sei äusserst schmerzhaft gewesen. «Wenn du erbrichst», sagte der Ex-Gegangene Ladkhar Boumediene, «hören sie einen Moment lang auf, dann schütten sie weiter in dich rein.»
Jahrelange Haft ohne Anklage
Die Pressereise dauert drei Tage. Die Gefangenen aber bekommen wir während gerade mal drei Minuten zu sehen. Hinter einer Glaswand sitzen Männer in weissen T-Shirts und beigen Hosen. Sie sehen fern.
Ich fühle mich wie im Zoo.
Der Gang, in dem wir stehen, ist abgedunkelt – die Gefangenen sollen uns nicht sehen. Kontakt unerwünscht. Hinter mir und meinem Kameramann steht ein Dutzend Männer in Militäruniformen, sie beobachten uns. Man will uns zeigen, dass Guantanamo heute nicht anders aussieht als jedes andere Hochsicherheitsgefängnis in den USA. Ist aber nur einer dieser Gefangenen angeklagt? Der Aufseher winkt ab: «Das kann ich nicht beantworten.» Tatsache ist: Keiner der Männer, die wir zu sehen bekommen, wurde je angeklagt – trotz jahrelanger Gefangenschaft. Die US-Regierung hat die Freilassung von 52 Häftlingen angeordnet. Sie hält also fast die Hälfte der 116 immer noch verbleibenden Insassen für ungefährlich. Amnesty International nennt Guantanamo den «Gulag unserer Zeit». Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte kritisiert, dass die USA Menschen willkürlich festhalten.
Republikaner John Mc Cain soll Obama unterstützen
An seinem ersten Arbeitstag im Januar 2009 hatte Barack Obama die Schliessung des Lagers innerhalb eines Jahres angeordnet. 10 Monate vor dem Ende seiner Präsidentschaft unternimmt er jetzt nochmals einen Versuch, sein Wahlversprechen zu erfüllen. Anfang August 2015 waren Teams des Pentagon in die Bundesstaaten Kansas und South Carolina geflogen, um Militärgefängnisse im Hinblick auf eine Überführung der Häftlinge zu prüfen. Auch Verteidigungsminister Ash Carter sprach sich im Februar 2016 dafür aus, die Häfltinge in die USA zu verlegen. Ein Transfer in die USA sei aber nach derzeit geltendem Recht nicht möglich. Carter hofft deshalb, dass sich der Kongress zu einer Gesetztesänderung bewegen lässt.
Hoffnung setzten die beiden dabei auch in den einflussreichen republikanischen Senator John McCain, selbst ehemaliges Folteropfer in Vietnam, der die Schliessung des Lagers unterstützt.
Überwachung, Zensur, Militärs
Seit meinem Besuch auf Guantanamo sind bald zwei Jahre vergangen. Die drei Tage dort aber werde ich nie vergessen. Nicht wegen den Häftlingen. Der Kontakt zu ihnen war ja nicht möglich. In Erinnerung bleiben mir vielmehr die Methoden des US-Militärs, die Überwachung, die Zensur. Auf der US-Militärbasis Guantanamo habe ich mich wie in einem totalitären Staat gefühlt.