SRF DOK: Inge Altemeier, was geht es uns in Europa an, dass im Nigerdelta Erdöl gefördert wird?
Inge Altemeier: Zuerst einmal tanken wir ja Benzin, zum Beispiel von Shell. Dieses kommt aus Afrika oder anderen Ländern, in denen das Begleitgas abgefackelt wird. Dadurch gelangen Russpartikel in die Atmosphäre.
Die schwarze Schmiere hängt am Himmel wie eine Asphaltstrasse und saugt das Sonnenlicht auf. Dadurch erhitzt sich die Luft. Die Temperaturen steigen weltweit, denn Umweltzerstörung lässt sich nicht eingrenzen. In Europa wurde das vor Jahren erkannt. Deshalb ist «Gasflaring» verboten. Aber im Nigerdelta kümmern sich Ölförderer nicht um diese Verbote.
Als Kunden finanzieren wir die Ölförderung in Afrika. Und unterstützen so Konzerne, die gegen die Umweltgesetze verstossen. Und nicht nur das. Shell hat den Bauern im Nigerdelta die Existenz geraubt. Gleichzeitig wirbt der Konzern in Europa damit, nachhaltig zu sein. Ich glaube nicht, dass wir auf Kosten der afrikanischen Bauern Auto fahren wollen.
Was hat Sie dazu bewogen, einen Dokumentarfilm darüber zu machen?
Seit über 20 Jahren berichten wir zu globalen Umweltthemen. Dadurch ist ein riesiges Netzwerk entstanden. Wenn also etwas in Afrika passiert, informieren uns die Leute vor Ort. So auch hier.
Von Freunden aus der Umweltszene erhielten wir E-Mails und Fotos. Aber wir haben viel Überwindung gebraucht, um dieses Thema anzugehen. Die Orte Nigeria und Sibirien – wo wir für diesen Film ja auch hinreisten – sind gefährlich. Doch ein so offensichtliches Umweltverbrechen muss einfach publik gemacht werden. Auch fanden wir zunächst keinen Kameramann, der bereit war, sich der Gefahr auszusetzen. Dann entschloss sich Reinhard Hornung, mitzukommen.
Einige der junge Männer hatten Verbrennungen auf der Haut, von den Unfällen, den Explosionen, den brennenden Ölfässern.
Reinhard Hornung, beschreiben Sie uns, was sie als Kameramann im Nigerdelta sahen und erlebten.
Reinhard Hornung: Immer wieder hörte ich von Kollegen, die dort entführt wurden. Die Sicherheitslage war sehr angespannt. Und schliesslich ging es um den mächtigen Konzern Shell.
Auf dem Weg zu den Förderanlagen passierten wir über 50 Kontrollen. In einem Dorf wollten wir eine «Abfackelstation» direkt neben den Wohnhäusern filmen. Dort konnten wir erst in der Abenddämmerung aufbrechen. Unter dem Schutz der Dunkelheit begleiten uns die mit Macheten bewaffneten Aktivisten zu den heissen, tosenden Feuern. Fünf Minuten Dreh, schnell, schnell, denn die Fackeln sind bewacht. Wir durften nicht entdeckt werden. Schon im Monat zuvor wurde eine holländische Delegation festgenommen.
Später waren wir mit dem Speedboat im Nigerdelta unterwegs. Dort wurde das Ausmass der Zerstörung durch die Ölförderung deutlich: Schwarzer, öliger Schlamm säumt das Flussufer, ölverschmierte Mangrovenwälder. Für immer tot. Daneben die primitiven lokalen Raffinerien.
Dieses Gebiet ist von Rebellen kontrolliert, die gegen Shell kämpfen. Auch dort eröffnete sich uns ein Feld der Verwüstung: In Öl getränkte Erde, verrostete Ölfässer, Feuerstellen und Schwarzbrenner. Einige der junge Männer hatten Verbrennungen auf der Haut, von den Unfällen, den Explosionen, den brennenden Ölfässern.
Weiter flussabwärts trafen wir die Familie Dooh. Hier hatte der alte Chief Dooh seine Fischzucht aufgebaut. Doch die zerborstene Ölpipeline von Shell hat alles zerstört. Seine Fische sind im Öl erstickt. Sie wollten nun gegen Shell Klage erheben.
Wir durften dabei sein, wie sich die aufgebrachten Fischer und Bauern auf dem Dorfplatz versammelten und entschlossen, Shell den Prozess zu machen. Shell sollte Schadenersatz zahlen und alles wieder sauber machen. Es war schön, diese Leute aus dem Nigerdelta nach zwei Jahren in Den Haag wieder zu treffen.
Europäische Konzerne müssen für ihre Umweltverbrechen im Ausland vor europäischen Gerichten verantwortlich gemacht werden.
Das Problem ist ja nicht nur die Erdölförderung, sondern das damit verbundene
Erdgas, das bei der Ölgewinnung entweicht und angezündet wird. Ginge das überhaupt anders?
Inge Altemeier: Dass es anders geht, haben wir in Ecuador erlebt. Da wird das Begleitgas genutzt. Das ist relativ teuer, weil nicht gleichmässig viel Gas an die Oberfläche kommt. Und die Förderung wird dadurch auch langsamer. Aber es geht.
Im vergangenen Januar zahlte der Erdölkonzern Shell umgerechnet 84 Millionen Franken an die Bewohner eines Dorfes im Nigerdelta – als Entschädigung für Umweltschäden aus der Erdölgewinnung. Es war eine aussergerichtliche Einigung. Wie ist sie zu werten?
Ich finde, Shell konnte sich freikaufen. Natürlich ist es wichtig, dass die Opfer eine Chance bekommen, eine neue Existenz aufzubauen. Aber eine Verurteilung hätte eine ganz andere Signalwirkung gehabt.
Deshalb ist der nächste Prozess in Den Haag so wichtig. Eric Dooh will, dass Shell das Nigerdelta säubert. Ich habe grossen Respekt vor den nigerianischen Bauern.
Aber europäische Konzerne müssen für ihr Vorgehen im Ausland, vor europäischen Gerichten verantwortlich gemacht werden. Erst dann können solche Umweltverbrechen wie Gasabfackeln zukünftig verhindert werden.
Wissen Sie, ob das Geld bei den Menschen ankam?
Soweit mir bekannt ist, ja. Jeder Bauer in der Gemeinde erhielt 3000 Euro. Aber natürlich ist es schwer nachzuvollziehen, wer das Geld verteilt. Läuft es über Regierungsstellen, ist zu befürchten, dass viele Leute gar kein Geld bekommen. Und dann natürlich die Landrechtsfrage: Vielen Menschen fehlen die entsprechenden Dokumente.
Ist mit weiteren Zahlungen zu rechnen, auch von anderen Konzernen?
Ich denke ja, denn für die Ölkonzerne rechnet es sich, einmalig zu zahlen und trotzdem weiter äusserst günstig Öl zu fördern.
Können wir als Konsumenten hier in Europa auf dieses Thema Einfluss nehmen?
Wir sollten von unseren Regierungen fordern, dass es Gesetze gibt, die international Umweltverbrechen verhindern. Ansonsten natürlich weniger Benzin verbrauchen.