Es ist nicht so, dass die Gesellschaft nicht auf diese mittlerweile «populäre» Erkrankung reagiert: Burnout-Kliniken, Burnout-Notruf-Telefone und Burnout-Präventions-Workshops bieten flächendeckend Hilfe an. Symposien, Gesundheitsinstitutionen und Interessenverbände trommeln für das Thema. Und auch im Care-Management von Grossunternehmen macht man sich Gedanken, wie potentiell Gefährdete frühzeitig aufgespürt und präventiv behandelt werden können.
Aber wie so oft bei populären Themen hat sich zum «Burnout»-Syndrom eine hartnäckige Kruste aus Halbwissen und Vorurteilen gebildet. Das Problem wird in gleichen Teilen dämonisiert wie verharmlost. Wer wegen eines angeblichen Burnouts zwei Wochen nicht in der Firma erscheint, hat wohl eine «falsche» Diagnose bekommen. Wer aber behauptet, dieser oder jener Betroffene solle sich halt ein bisschen zusammenreissen – der hat wohl ebenfalls das Unberechenbare dieser Erkrankung unterschätzt. Jedenfalls kennen wir alle stressbezogene Symptome. Und das Gefühl, «ausgebrannt» zu sein, platzt immer unbarmherziger in unsere rigide Arbeitswelt.
Einem Menschen mit Burnout begegnen
Durch die offene und eindrucksvolle Erzählung des Protagonisten Matthias N. begann ich, einen Menschen und seine Krisenbewältigung tiefgreifend und vielschichtig kennenzulernen.
Dennoch wollte ich im Vorfeld zu den Dreharbeiten auch noch anderen Burnout-Betroffenen begegnen. Dafür bin ich mit vielen Burnout-Kliniken und Experten in Kontakt gekommen. Auch mehrere Betroffene, die inmitten einer Burnout-Krise steckten, waren bereit, mir ihre Geschichte anzuvertrauen. Was mich dabei immer wieder betroffen gemacht hat, war die Erkenntnis, wie hartnäckig die damit verbundene Erschöpfungsdepression sein kann. Und auch so hinterhältig, dass sie einen über Jahre nicht aus ihrem Teufelskreis entlässt. So konnte mir eine Betroffene eine detaillierte Analyse ihrer Situation und auch jener Verhaltensmuster darlegen, die zu ihrem Zusammenbruch geführt haben. Und dennoch hatte sie unsere Gesprächssituation nicht «im Griff», was ich zunächst gar nicht bemerkte. Einige Tage später gestand sie mir, dass jene zwei Stunden Erzählung – also eine Tätigkeit, die sie ebenfalls mit dem Komplex «Arbeit» assoziierte – sie vollkommen erschöpft hätten, so dass sie danach Stunden, wenn nicht Tage gebraucht hätte, um sich davon zu erholen. Das tat mir sehr leid. Ich musste einsehen, dass es schier unmöglich sein würde, jemanden filmisch zu begleiten, der mitten in einer solchen Lebenskrise steckt.
Kompliziertes institutionelles Auffangsystem
In der Schweiz gibt es zwar ein gutes Gesundheits- und Sozialnetz, so dass kaum jemand «durch die Maschen» fällt. Dennoch bestätigten mir Experten, was Betroffene immer wieder erleben: Die institutionelle Verästelung ist hierzulande extrem. Zwar beginnt der Heilungsweg für einen Burnout-Patienten meist mit einem rund achtwöchigen, von den Krankenkassen finanzierten Aufenthalt in einer spezialisierten Burnout-Klinik. Doch was danach mit einem Betroffenen geschieht, ist oft völlig unklar. Kann er sofort wieder an die alte Arbeitsstelle? Wurde er gekündigt? Kann er überhaupt in den alten Beruf zurück? Und wenn ja, unter welchen Rahmenbedingungen?
Unterschiedliche Interessen der Involvierten
Zwar ist die Invalidenversicherung mittlerweile spezialisiert auf langsame und nachhaltige Reintegration von Burnout-Betroffenen. Doch ist die IV – gemäss ihrem Auftrag – nur für besonders harte Fälle zuständig, wenn eine gesundheitliche Langzeitgefährdung droht. Oft sind aber auch noch andere «Player» im Spiel wie ein Case-Manager der Krankentaggeldversicherung, der behandelnde Psychiater, womöglich jemand von der Pensionskasse, ein Coach vom Reintegrationsprogramm, der ehemalige Arbeitgeber, die IV-Eingliederungsfachperson. Manchmal sitzen bis zu zehn Diskutanten mit dem Betroffenen zu einem Standortgespräch zusammen. Sie alle wollen das Beste für den IV-Versicherten. Und dennoch haben sie auch ihre Eigeninteressen. Ein Psychiater, der eine nachhaltige Gesundung anstrebt, verfolgt natürlich andere Ziele als ein Arbeitgeber, der hofft, dass sein Mitarbeiter möglichst schnell wieder voll arbeitsfähig sein kann.
Mehrfach haben mir Betroffene berichtet, dass ihnen jemand fehlt, der sie an die Hand nimmt. Der sie bei der Vielzahl von Problemen, die sich jemandem stellen, der für längere Zeit aus dem Arbeitskontext fällt, begleitet und unterstützt. Sehr häufig kommen ja noch persönliche, familiäre und weitere soziale Probleme dazu, die von der jahrelangen Überarbeitung und der damit verbundenen Selbstisolierung herrühren. Vor lauter Bäumen sieht der Betroffene oft den Wald nicht mehr. Und er fühlt sich dabei wahnsinnig einsam.
Gerade deshalb interessierten mich für einmal weniger die Expertenmeinungen. Auch wenn diese stichhaltig klingen mögen – dem einzelnen Patienten in seiner sehr individuellen und oft vertrackten Lage helfen sie nicht umfassend weiter. Vielmehr ging es beim dokumentarischen Unternehmen um eine ganz singuläre Innenansicht eines Menschen, der trotz gutem Willen und besten Absichten in eine solche psychische und soziale Zwangslage geriet. Dies zu erfahren, mag helfen, weniger voreilige Urteile zu fällen über Schicksale, die einem sehr nahe oder auch sehr fern erscheinen mögen.