Gleich vorneweg: Waffen üben auf mich eine gewisse Faszination aus. Mit diesem Eingeständnis bewege ich mich auf dünnem Eis, dessen bin ich mir bewusst. Die Armeewaffe gab ich zwar am Ende meiner Dienstzeit ab und es käme mir auch nie in den Sinn, eine Schusswaffe zu kaufen. Und trotzdem bleibe ich jedes Mal stehen, wenn ich an einem Waffengeschäft vorbeigehe, um mir die Auslagen durch das Panzerglas hindurch anzusehen.
Kommt dazu, dass ich gerne und gut geschossen habe. Einmal nahm ich als Jugendlicher an einem lokalen Schiesswettbewerb teil und ging gleich als Bester mit dem Hauptpreis nach Hause. Seit einigen Jahren bin ich nun im Besitz eines Pfeilbogens. Dieser verursacht beim Schiessen keinen Lärm und löst bei anderen grundsätzlich keine negativen Emotionen aus. Deshalb muss ich mit keinen Protestschreien rechnen, wenn ich in unserem Garten die Zielscheibe aufstelle, um dann den Bogen zu spannen. Wenn dann ein abgeschossener Pfeil ins Schwarze trifft, durchströmt mich jedes Mal ein Hochgefühl. Ich geniesse also das Indianerspiel für grosse Buben, das die Gesellschaft stillschweigend toleriert.
Luftgewehr aus dem Spielwarenladen
Mit zwölf Jahren kaufte ich mir mit meinem Taschengeld ein Luftgewehr – und zwar im Spielwarengeschäft unseres Dorfes. Jedes Kind konnte damals im Spielzeugladen eine Druckluftwaffe kaufen. Kein Verkäufer kam auf die Idee, einen Ausweis zu verlangen. Auch musste kein Meldepflicht-Formular ausgefüllt werden, um es an die Behörden weiterzuleiten.
Im Gegensatz zu heute gab es in den 60er Jahren für Druckluftwaffen weder Mindestalter noch Meldepflicht. Und so besassen fast alle meine Jugendfreunde ein Luftgewehr. Würde ich nun schreiben, dass wir damit nur auf Zielscheiben geschossen hätten, würde ich lügen. Umsicht, Verstand und Vernunft begleiteten uns nicht immer auf unseren Abenteuern durch die Wälder. Dort trafen wir uns, um veritable Gefechte auszutragen. Einmal musste ich deswegen zum Arzt. Sowohl im Hals auch in meiner linken Kniekehle steckten Bleikugeln. Es grenzt an ein Wunder, dass keiner von uns je durch eine dieser sogenannten Diabolokugeln schwer verletzt wurde. Das hätte buchstäblich ins Auge gehen können. Rückblickend kann ich nur den Kopf schütteln über unser leichtsinniges Verhalten. Es ist gut und richtig, dass Luftgewehre heute nicht mehr im Spielwarenladen und ohne Auflagen zu kaufen sind.
Kleine Guerillakämpfer rund ums Haus
Vieles hat sich seit meiner Kindheit verändert. Zwar sind auch heute noch vor allem Buben fasziniert von Spielzeugwaffen, aber nicht wenige Eltern dulden diese Dinger nicht im eigenen Haus. Als mein Sohn noch klein war, erlaubten wir ihm, mit seinem Taschengeld ein «Demolisher-Gewehr» zu kaufen. Aus dessen Lauf fliegen Schaumstoff-Patronen, die bis zu 25 Metern weit fliegen.
Bald schon kamen noch mehrere Wasserpistolen dazu sowie eine Armbrust mit Saugnapfpfeilen. Sein Arsenal wurde von seinen Kollegen neidisch bewundert. Deren Eltern erlaubten ihren Sprösslingen aus pädagogischen Überlegungen nicht, Spielzeugwaffen zu besitzen. Und so kam es, dass alle Jungs aus der Nachbarschaft zu meinem Sohn pilgerten, um sich mit Plastikgewehren und Pistolen auszurüsten. Danach ging die Bande johlend ins Freie, um rund um unser Haus herum Guerillakämpfer nachzuahmen. Das Kampfgeschehen war natürlich unüberhörbar und erregte die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft. Und so mussten wir uns schon bald vor anderen Eltern rechtfertigen, die unser Verhalten kritisierten. Wehret den Anfängen, wurden wir belehrt. Spielzeugwaffen würden zur Kriegsverherrlichung beitragen. Keinesfalls dürfe man Plastikgewehre in Kinderhänden dulden.
Regeln statt Verbote
Gehören Spielzeugwaffen aufgrund elterlicher Psychohygiene also aus Kinderzimmern verbannt? Nein, sagt Josef Sachs. Der Psychiater war unter anderem Berater der parlamentarischen Kommission in Zusammenhang mit dem Waffengesetz: «Vor allem Buben haben eine Affinität zum Kämpfen. Gerade Spielzeugwaffen sind ein Bestandteil, um sich behaupten zu können.»
Sachs spricht von einem archaischen Muster, das tief im Menschen stecke. Schon in der Frühzeit galt es, sich und seine Sippe mit Waffen zu verteidigen oder damit zu jagen. Dieses innere Bild lasse sich nicht einfach so ausblenden, auch wenn man Waffen heute nicht mehr braucht, um zu überleben. Statt Spielzeugwaffen den Kindern zu verbieten, empfiehlt der Psychiater den Eltern, mit ihren Sprösslingen darüber zu reden und gleichzeitig für die «Guerillakämpfe» Regeln und Grenzen festzulegen.
Das gelte auch bei Ballerspielen mit dem Computer. Der Psychiater betont weiter, dass es erst dann problematisch werde, wenn Kinder oder Jugendliche Gewaltbereitschaft zeigen oder Freude daraus ziehen, bei anderen Angst zu erzeugen. In solchen Fällen solle man nebst intensiven Gesprächen mit dem Nachwuchs auch Hilfe von aussen suchen. Bei Kindern und Jugendlichen, die gut sozialisiert seien und auch andere Freizeitbeschäftigungen nachgehen, würden Ballerspiele – ob am Bildschirm oder im Freien – keine negativen Folgen haben, meint Josef Sachs abschliessend.
Inzwischen ist mein Sohn bald 20 Jahre alt. Waffen interessieren ihn nicht mehr. Er ist auch fast nie dabei, wenn ich im Garten mit dem Pfeilbogen meine innere Ruhe fördere, die Konzentrationsfähigkeit steigere und dabei ganz glücklich bin – wenn ich ins Schwarze treffe.