Margot Wicki-Schwarzschild treffen wir in ihrem Daheim in Reinach bei Basel. Schon im Vorfeld hat sie mir versichert, sie werde nicht müde, ihre Geschichte immer wieder zu erzählen. Auch wenn das Erlebte in ihrer Jugend schwer wiegt. «So schlimm es war, ich denke, ich habe mich mit meinem Schicksal mehr oder weniger versöhnt», meint die 86-Jährige. Unermüdlich hält sie Vorträge in Schulen, tritt öffentlich auf und hat ein Buch über ihre Erlebnisse im Krieg geschrieben. Immer mit demselben Ziel: Wider das Vergessen der Nazi-Gräueltaten.
Im «Wartezimmer» von Auschwitz
Die gebürtige Deutsche Margot Wicki-Schwarzschild spricht leise und präzise, als sie uns ihre Geschichte erzählt. Ihre Familie wurde am 22. Oktober 1940 von der Gestapo deportiert. Von Kaiserslautern in ein südfranzösisches Internierungslager. Margot war damals neun Jahre alt. Weil der Vater Jude war, gab es kein Entrinnen. Ihre Erinnerungen ans Lager sind immer noch sehr präsent. «Wir waren wie verloren dort. Überall hatte es Läuse, Flöhe und Wanzen und der Wind trug uns fast fort. Ständig hatten wir Hunger. Wir waren innert kurzer Zeit unterernährt», erzählt sie. Die Schweizer Hilfe des Roten Kreuzes im Lager sei ein Lichtblick gewesen. Dort habe man Essen bekommen und menschliche Wärme.
Rotkreuz-Krankenschwester hat sie gerettet
Hilfswerke wie das Rote Kreuz versuchten die Lage der Internierten zu verbessern. Als die Familie Schwarzschild im September 1942 auf der Liste stand zur Deportation nach Auschwitz, schritt die Rotkreuz-Krankenschwester Friedel Reiter ein. «Ohne Friedel Reiters unerschrockenes Verhandlungsgeschick wären wir nicht mehr am Leben», meint Margot Wicki-Schwarzschild. Mit Hilfe des Kommunionsfotos der Mutter überzeugte Friedel Reiter die Behörden von der «arischen» Herkunft der Familie. Den Vater konnte sie nicht retten.
Lernen aus der Geschichte
Erst viel später habe sie erfahren, dass Friedel Reiter damals ganz eigenmächtig und gegen den Willen des Schweizerischen Roten Kreuzes gehandelt habe. «Das war ein Schock für mich». Juden wurden damals vom Roten Kreuz nicht als Flüchtlinge anerkannt, ganz im Sinne der schweizerischen Flüchtlingspolitik. «Manchmal erwache ich nachts und denke an all diese Flüchtlinge heute. Wie furchtbar das ist. Und ich denke mir, was in unserer Möglichkeit steht, sollten wir helfen.»
Die Vergangenheit lebendig halten, um die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, das gibt uns Margot Wicki –Schwarzschild mit auf den Weg. «Wenn ich all die Flüchtlinge sehe, dann ist mir ihr Leid viel die grössere Sorge als meine Vergangenheit.»