Der 57-jährige Jerry hatte in seinem Leben keine guten Karten, von allem Anfang an: «Mitten unter Rockern und Zuhältern, was lernte ich kennen? Sicher keine Familie und keine Liebe!»
Diverse kleinere Delikte und zwei Vergewaltigungen bringen Jerry hinter Gitter und in die Verwahrung. Leberkrank und dem Tode nahe, möchte er in Freiheit sterben bei Brigitte, seiner Jugendliebe, die ihn nach Jahrzehnten in der Strafanstalt wieder aufgesucht und sich erneut in Jerry verliebt hat.
Nur eine kurze Bekanntschaft
Seit längerem beschäftige ich mit der Thematik Verwahrung, Altwerden und Sterben im Knast.
Der ehemalige Richter, profilierte Justizkritiker und Buchautor Peter Zihlmann machte mich auf das Schicksal von Jerry aufmerksam. Zusammen besuchten wir ihn im Spital Sursee, und Jerry war sofort mit dem Filmprojekt einverstanden. Denn er wollte unbedingt vor seinem bevorstehenden Tod sein Schicksal an die Öffentlichkeit bringen.
Jerry hatte ein schwieriges – oder soll man gar sagen vermurkstes – Leben. Er sass über dreissig Jahre im Gefängnis und hatte sich deshalb drei sogenannte Knast-Tränen unter seinem rechten Auge tätowieren lassen – je eine für jeweils zehn Jahre Unfreiheit. Deshalb hatte ich nicht erwartet, dass meine Dreharbeiten zum Thema «Verwahrung» am Beispiel von Jerry, dem Tattoo-Mann aus dem Kleinbasler Milieu, für mich zu einer Lektion über würdevolles Sterben geraten würden.
Unsere Bekanntschaft währte nur kurz, denn ich lernte Jerry erst in seinem letzten Lebensmonat kennen. Er kämpfte, todkrank, um seine Freilassung aus der Verwahrung. Gefährlich für die Gesellschaft – das hatte selbst der Gefängnisarzt attestiert – war er mit seinem geschwächten Körper schon lange nicht mehr gewesen. Kraft und innerliche Ruhe gab ihm die neu aufgefrischte Beziehung zu Brigitte, seiner Jugendliebe als 19-Jähriger, die ihn nach Jahrzehnten wieder im Gefängnis aufgesucht hatte.
Sokratische Gelassenheit
Jerry hätte gute Gründe gehabt für einen tiefen Groll gegen den Justizvollzug, ja vielleicht gegen die Gesellschaft, die eine derartige Härte bar jeglicher Menschlichkeit toleriert. Stattdessen ging er seinen Weg mit einer sokratischen Gelassenheit.
Auf diese Weise hat mir Jerry ein eindrückliches Bild hinterlassen, wie man diese letzte Aufgabe souverän meistern kann.
«Drei Tränen für Jerry – Requiem für einen Fehlbaren» von Peter Zihlmann