Fünfmal mehr Schweine als menschliche Bewohner und Wohnhäuser, die bis zu 40 Meter neben Schweineställen stehen: Willkommen im luzernischen Hohenrain.
«Es stinkt mal wieder». Der pensionierte IT-Supporter Markus Ineichen schaut zur benachbarten Schweinescheune und rümpft die Nase ob des beissenden Geruchs der Gülle.
Vor 30 Jahren, als seine Familie nach Hohenrain kam, seien dort Kühe gehalten worden. Ihr Geruch ist weniger stark als jener von Schweinen. Später aber habe der Bauer auf Schweine umgestellt und seinen Stall vergrössert. Viele Bauern im sogenannten Schweinegürtel von Luzern taten es ihm gleich – mit dem Segen der Behörden.
Geruchsprojekt: Nur Hohenrain macht mit
Trotz vieler Reklamationen in den letzten Jahrzehnten reagierte die Politik erst 2021: Das «Ressourcenprojekt Ammoniak und Geruch» wurde ins Leben gerufen. Mit 15 Bauern wurden Massnahmen zur Geruchsverminderung diskutiert: Von der täglichen Reinigung der Ställe, über Spaltenböden, damit die Gülle besser abfliesst, bis zu Luftwäschern, die die Luft im Stall reinigen und der Schliessung der Bereiche im Freien neben dem Stall.
Das Budget für acht Jahre beträgt 1.18 Millionen Franken, zu 80 Prozent finanziert von nationalen Steuergeldern. Für den Teilbereich Geruch sollten vier Gemeinden in der Zentralschweiz gewonnen werden; gemeldet hat sich aber nur Hohenrain. Und die bisherigen Erfahrungen sind ernüchternd.
Verschlimmerung des Gestanks
Der Plan, dass die Luft in Hohenrain dank Massnahmen der Bauern innerhalb von drei Jahren bis Ende 2023 stark verbessert wird, hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst.
Den grössten Effekt versprachen sich die Projektverantwortlichen von der Zusage von drei Schweinebauern - sie sollen alte und mangelhafte Luftwäscher in ihren Ställen durch neue ersetzen. Sowie von einem vierten Bauer, der ankündigte, seinen Stall von Schweinen auf weniger geruchsintensive Rinder umzustellen. Nach zwei Jahren hat aber nur einer der Bauern eine neue Luftreinigungsanlage installiert.
Verzögerungstaktik beim Einbau eines Luftwäschers?
«Ich fühle mich verarscht», sagt Anwohner Markus Ineichen. Er zeigt auf den mangelhaften Luftwäscher seines Nachbarn Urs Isenegger, wegen welchem er in den letzten 15 Jahren zahlreiche Male auf der Gemeinde und beim Kanton reklamiert hatte. Im Rahmen des Geruchsprojekts wurde mit Bauer Isenegger vereinbart, die Anlage bis Ende April zu ersetzen. Aber Isenegger hat noch nicht einmal eine Baubewilligung.
Seit neun Monaten liefert sich der Bauer ein Pingpong mit dem Kanton, der sein Baugesuch dreimal sistiert hat. Wegen fehlender und widersprüchlicher Unterlagen. Die durchschnittliche Dauer eines Baugesuchs im Kanton Luzern liegt bei 40 Tagen.
Eine Sistierung kann sich lange hinziehen.
Pikanterweise ist Urs Isenegger auch professioneller Stallplaner. Den Vorwurf der Verzögerungstaktik weist er zurück: «Ich weiss aus Erfahrung, wie schwierig es ist, ein Baugesuch zu bekommen. Wenn die Unterlagen nicht so sind, wie der Kanton es gerne hätte, kann sich eine Sistierung lange hinziehen.»
Isenegger räumt aber ein, dass das System sich verschärft habe. Früher hätten die Behörden zu wenig oder gar nicht hingeschaut, jetzt werde «der Spiess gekehrt».
Teilnahme am Geruchsprojekt: freiwillig
Die Krux: Das Ressourcenprojekt ist ein Freiwilligenprojekt. Sanktionen gegen Bauern, die keine Massnahmen gegen den Gestank ergreifen, gibt es nicht. Man wolle das Geruchsproblem im Dialog mit der landwirtschaftlichen und nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung statt über den Rechtsweg lösen, sagt Alfons Knüsel, Gemeindepräsident von Hohenrain. Wer aber verantwortet das Prestige-Projekt? Es ist der Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband.
Wacht hier der Fuchs über den Hühnerstall? Das sehe er nicht so, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Raphael Felder.
Man kann uns nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.
Falls es mit der Freiwilligkeit nicht klappe, «kann man uns wenigstens nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben». Wofür aber werden die knapp 1,2 Millionen Steuergelder investiert, wenn die Bauern weiterhin keine Massnahmen ergreifen, für die sie vom Ressourcenprojekt finanziell unterstützt werden? Für einen Leitfaden, der aufzeige, wie Gemeinden bei Geruchsstreitigkeiten vorgehen können, sagt Felder.
Behörde griff erst nach SRF-Drohnenaufnahmen ein
Ein besonders Ärgernis für Anwohnerinnen und Anwohner in Hohenrain: Auf dem Hof eines Bauern, der in Arbeitsgruppe des Geruchsprojekts mitarbeitet, ist die mit Gülle verschmutzte Fläche noch grösser geworden.
Zu Beginn des Projekts hatte der Bauer den Aussenbereich seines Stalls umgebaut, Türen vergrössert und Buchten herausgebrochen. Und das illegal, also ohne Baubewilligung. Durch den Umbau haben die Schweine die Orientierung verloren, seither verrichten sie ihr Geschäft unkontrolliert.
So vergrössert sich die verschmutzte Fläche und damit auch der Gestank. Der unbewilligte Umbau sei nur wegen Drohnenaufnahmen des Schweizer Fernsehens im August 2020 ans Tageslicht gekommen, sagt Berufskollege Arthur Röösli.
Er meldete den unbewilligten Umbau der Gemeinde, weil Arthur Röösli als einziger das Ziel des Projekts umgesetzt und eine Viertelmillion Franken, wie er sagt, für einen neuen Luftwäscher investiert hat. Nach Aufforderung der Gemeinde reichte der Bauer rückwirkend ein Baugesuch ein.
Verfügung zum Rückbau: Erst nach 2.5 Jahren
«Bin ich etwa der Tubel von Hohenrain?», ruft Arthur Röösli an einer Projekt-Sitzung aus. «Es darf nicht sein, dass ich einen neuen Luftwäscher kaufe und neben mir gewurstelt wird».
Erst zweieinhalb Jahre nachdem der unbewilligte Rückbau den Behörden gemeldet wurde, haben diese verfügt, dass der Bauer den veränderten Aussenbereich rückbauen oder schliessen muss. Ursprünglich hatte dieser Schweinehalter der Projektleitung Hoffnung gemacht, in dem er versprach, seinen Schweinemast-Stall auf weniger geruchsintensive Rindermast umzustellen.
«Wir hatten gehofft, dass es schneller geht», sagt Gemeindepräsident Alfons Knüsel ernüchtert. Ein Baugesuch läuft, ob der Rinderstall aber erstellt wird, ist unklar. Verbindlich sei nichts, sagte der Bauer an einer Projektsitzung. Es komme auf die Marktlage und die Baupreise an.
Umweltschutzamt vollzieht Gesetz nicht
Die Behörden müssten die Bauern eigentlich von Gesetzes wegen zwingen, den Schweinegestank zu reduzieren. Dies, weil die Gerüche aus der Landwirtschaft in Hohenrain gemäss objektiver Beurteilung übermässig sind. Das hat eine wissenschaftliche Erhebung 2020 festgestellt.
Ausgerechnet diese Studie war die Grundlage für das Ressourcenprojekt, das auf Freiwilligkeit setzt. Luzi Bergamin, Geschäftsführer der Umweltfirma Ecolot, welche die Geruchs-Erhebung gemacht hat, verweist auf die Luftreinhalteverordnung: Bei übermässigen Immissionen muss der Kanton Sanierungsmassnahmen ergreifen und sie auch gegen den Willen des Verursachers, also des Bauers, verfügen.
In Hohenrain aber ist die Situation im Fall einer Wohnsiedlung komplex, weil sie umgeben ist von mehreren Bauernhöfen, die alle zusammen für die üblen Gerüche verantwortlich sind. Es bräuchte einen Massnahmenplan – bei Geruchsbelästigungen ist das juristisches Neuland.
Die Bauernlobby behindere den Vollzug
Warum vollzieht das Luzerner Umweltamt das Gesetz nicht? Auf die Frage verweist der Leiter Daniel Christen auf die wirtschaftliche und politische Lage in seinem Kanton, in dem jedes dritte Schweizer Schwein produziert wird: «Im Parlament gibt es eine starke Lobby, die sagt, wo’s lang geht. Der Vollzug ist dadurch schwierig.»
In der Vergangenheit habe der Kanton die Tierhaltung gefördert, jetzt aber bekämen Umweltaspekte mehr Gewicht. Christen: «Es braucht einen Gesinnungswandel. Wir stecken mittendrin.»