Die Aargauer Lehrerin und Bloggerin Morena Diaz machte Anfang Jahr «meine persönliche Geschichte», wie sie schrieb, publik. In ihrem Blog führte die 27-Jährige aus, wie sie von einem «guten Freund» in dessen Zuhause vergewaltigt wurde. Ihr Vergewaltigungs-Post sorgte für medialen Wirbel.
«Das wollte ich auch erreichen», stellt Morena Diaz klar. Sie habe sich diesen Schritt wohl überlegt und nicht überhastet gehandelt. «Nur wenn ich meine eigene Vergewaltigung öffentlich mache, werden die Medien berichten.»
Es gehe ihr weniger um ihr persönliches Erlebnis, als darum, auf die Notwendigkeit einer Revision des Schweizer Sexualstrafrechts hinzuweisen. Sex gegen den eigenen Willen ist in der Schweiz nur dann strafbar, wenn sich die Betroffenen nachweislich gewehrt haben.
«Ich wurde oral vergewaltigt.»
Soziale Medien bieten die Möglichkeit, über die Grenzen hinaus über sexuelle Übergriffe zu berichten und andere Betroffene zu finden.
Eine Frau, die sich mit Morena Diaz solidarisiert, ist Jorinde Wiese (25), Studentin aus Freiburg (D). Ihr war Ähnliches widerfahren; auch bei ihr war der Täter ein Bekannter. «Ich wurde oral vergewaltigt.»
Erst jetzt, sechs Jahre nach der Tat, kann die Studentin aussprechen, was ihr passiert ist. Ekel und Scham sind bei der jungen Frau noch immer präsent. Für viele Betroffene sind soziale Medien eine geeignete Plattform sich zu öffnen.
Es fällt ihnen leichter über Übergriffe und Missbräuche zu schreiben, als darüber mit einem Gegenüber zu sprechen. Jorinde Wiese hat das Erlebte lange Zeit mit sich selbst ausgemacht, nun möchte sie sich nicht mehr verstecken. «Nur wenn wir reden, werden wir für einander sichtbar und können uns so verbinden und gegenseitig stärken.»
Keine Rachegelüste
Auch Bloggerin Mabelle Solano geht es um die Vernetzung mit anderen Betroffenen und nicht um Rache oder Vergeltung. Die zweifache Mutter wurde als 13-Jährige von einem Gleichaltrigen vergewaltigt. Mehr gibt sie von ihrem Peiniger nicht preis.
Lieber teilt sie mit ihrer Online-Community ihre Gedanken und spricht über emotionale Wunden. «Bevor ich auf senden drückte, plagten mich Zweifel», erzählt die 24-Jährige. «Dabei sollte man als Opfer nicht Angst vor den Reaktionen der anderen haben müssen.» Mit ihrem Post möchte Mabelle Solano ein Tabu brechen. «Schliesslich passiert so was jeden Tag irgendwo. Darum sollten wir offen darüber reden.»
«Selber schuld, du Schlampe!»
Morena Diaz musste für ihre Veröffentlichung einen hohen Preis zahlen. Die Lehrerin, die sich als Body-Positivity-Influencerin auf Instagram im Bikini zeigt, wird im Internet als Lügnerin und Schlampe beschimpft. «Wer sich so präsentiert, muss sich nicht wundern.» Oder: «Du willst ja nur Aufmerksamkeit.» Mit solchen und ähnlichen Kommentaren wird die 27-Jährige konfrontiert. «Ich war auf Hasskommentare vorbereitet. Doch das Ausmass hat mich dann doch getroffen.»
Kein Häufchen Elend
Dass sie sich mit ihrem öffentlichen Bekenntnis Anfeindungen aussetzt, ist sich Schauspielschülerin und Youtuberin Luisa Nübling bewusst. Trotzdem: «Ich will was ändern. Und das Beste, was ich tun kann, ist darüber zu sprechen, was mir passiert ist.»
Die heute 21-Jährige hatte als 15-Jährige sexualisierte Gewalt erlebt. Auch in ihrem Fall war der Täter ein vermeintlich guter Freund, dem sie vertraute. «Mein Nein hat er nicht akzeptiert. Er schlug mich, zog mir die Kleider runter und hat mich angefasst, obwohl ich es nicht wollte.»
Weil sie nach dem Übergriff Panikattacken und Flashbacks erlitt, machte die Schauspielschülerin eine Therapie. Mittlerweile lebe sie gut mit dem Geschehenen und könne sich auch wieder berühren lassen. In ihren Youtube-Videos klärt Luisa Nübling ihre Followers über sexualisierte Gewalt auf – auf eine lockere und humorvolle Weise. «Man muss so ein Thema nicht als Häufchen Elend vortragen. Es ist so schon ernst genug.
Aufklärung statt Tabu
Die betroffenen Frauen wollen mit ihren Bekenntnissen ein Bewusstsein für das Thema schaffen. Sie wollen in den Köpfen etwas ändern und bestehende Machtsysteme aufbrechen. Dabei gehen sie neue Wege. Jorinde Wiese hat die Tat bei einem Poetry Slam vor Publikum vorgetragen.
«Es gibt extrem viele Menschen, die anfangen zu sprechen, viele mutige Frauen. Ich glaube, die Veränderung ist in vollem Gange.»