Mit 20 kam sie ins Kloster Notkersegg, mit 95 verliess sie es – unfreiwillig: Schwester Bernardina musste ins Pflegeheim, weil die Last für ihre Mitschwestern zu gross wurde. Ein harter Schnitt für Schwester Bernardina, aber auch für die Gemeinschaft selbst. Eine der ihren wegzugeben, fällt nicht leicht.
In der Klostergemeinschaft hoch über der Stadt St. Gallen leben heute sieben Frauen. Die Klosterfrauen sind dem Kapuzinerorden verpflichtet, und das heisst: Sie tun Gutes, beten für andere, haben keinen Besitz. Und das Wenige, das sie haben, teilen sie mit Bedürftigen. Sie führen ein Leben in Bescheidenheit und Hingabe für die Nächsten.
Doch sobald die Schwestern mit zunehmendem Alter selbst bedürftig werden, müssen sie das Kloster verlassen. Schwester Bernardina benötigte rund um die Uhr Betreuung und Pflege, ebenso Mitschwester Meinrada.
Zwei Frauen 24 Stunden pflegen und betreuen und gleichzeitig den Alltag mit seinen Aufgaben und Pflichten bewältigen – daran scheitern viele, nicht nur Klosterfrauen.
Es ist eine eigene Welt im Kloster. Eine verborgene. Die Schwestern leben immer noch nach dem Gebot der Klausur. Sie gehen kaum nach draussen und hinein lassen sie wenige. Sie leben in Ruhe und im Gebet. Um fünf Uhr in der Früh stehen sie auf. Fünf Mal am Tag beten sie in der Kapelle.
Ehemalige Balletttänzerin
Die 47-jährige Schwester Manuela gehört zu den Jüngeren. Sie ist die Frau Mutter, wie sie von ihren Mitschwestern genannt wird. Sie vertritt das Kloster gegen aussen und ist verantwortlich für die Gemeinschaft, auch wenn die Frauen einander gleichgestellt sind. Früher, bevor sie ins Kloster eintrat, war Schwester Manuela Balletttänzerin.
Als sie die Leitung des Klosters vor ein paar Jahren übernahm, war für sie klar: Sie möchte es nicht mehr erleben, dass ihre Mitschwestern ihren letzten Lebensabschnitt im Pflegeheim verbringen müssen.
Auch finanzielle Aspekte haben dabei eine Rolle gespielt. Ein Pflegeheimplatz kostet viel, zu viel für die Gemeinschaft, die wenig besitzt und einen solchen Platz aus eigenen Mitteln finanzieren muss. Klostergemeinschaften sind in der Regel eigenständig und für sich selbst verantwortlich. Da hilft weder der Papst noch die Kirche.
Schwester Meinrada kehrt zurück
Schwester Manuela sieht sich nicht als Unternehmerin, auch wenn sie nach den Regeln der Wirtschaft gehandelt hat: Sie initiierte ein Pflegeheim im Kloster Notkersegg.
Die Idee: Pflegeheimplätze schaffen für die eigenen Schwestern und zugleich für andere aus der ganzen Schweiz. Das kommt günstiger, und die Schwestern können weiterhin im klösterlichen Rahmen leben. Acht Plätze bietet das Kloster Notkersegg insgesamt an. Zwei davon waren bereits reserviert für ihre Mitschwestern, die sie nun zurückholen konnten.
Schwester Meinrada war die erste, die nach vielen Jahren im öffentlichen Pflegeheim zurückkehrte ins Kloster.
Die demographische Entwicklung hat die Klöster in der Schweiz schon längst eingeholt. Es fehlt der junge Nachwuchs und die Zeit fordert neue Konzepte. Sonst droht vielen Klöstern das Aus.
Überalterung im Kloster
Im Kloster Notkersegg liegt der Altersdurchschnitt bei über 80 Jahren. Erst gerade hat zwar eine 37-jährige das ewige Gelübde abgelegt, doch die Jungen können die Last nicht allein tragen. Schliesslich sind sie auch nicht ins Kloster eingetreten, um ausschliesslich ältere Mitschwestern zu betreuen, sondern sie wollen Gott und den Menschen generell dienen.
Mit dem Pflegeheim im Kloster ist für alle eine so genannte Win-Win Situation entstanden. Und die Frauen von der Notkersegg senden damit auch ein Zeichen: Es geht weiter.
Auch Schwester Bernardina durfte mit 99 Jahren endlich ins Kloster heimkehren. Sie feierte in Notkersegg ihren 100. Geburtstag.
Wenige Monate später ist sie gestorben. Zufrieden, wie Schwester Manuela sagt, und sie selbst sei sehr glücklich darüber, Schwester Bernardina das Sterben im Kloster, ihrem Zuhause und inmitten der Gemeinschaft ermöglicht zu haben.