Veganer gelten als missionarisch und dogmatisch, weil sie auf jegliche Produkte tierischer Herkunft verzichten – kein Fleisch, kein Fisch, keine Milch, keine Butter, kein Käse, kein Rahmtupfer auf dem Dessert, keine Rahmglace, kein Honig, keine Milchschokolade, keine Crèmeschnitte.
Dafür trinken sie Hafer-, Dinkel-, Reis- oder Mandelmilch, streichen Margarine auf ihre Frühstücksbrötchen, verfeinern die Kürbissuppe mit Soja- oder Haferrahm, essen Tofu, Seitan, Linsen, Nüsse und viele Früchte und Gemüse. Und nicht nur das – Veganer tragen keine Lederschuhe und keine Wollpullover. Sie schlafen nicht in Daunenduvets, hüllen sich nicht in Seide und verzichten auf Kosmetika und Reinigungsmittel mit tierischen Bestandteilen. Ist das extrem?
Huhn ist nicht gleich Huhn
Ich habe in den letzten Monaten viele Menschen kennengelernt, die vegan leben. Diese Veganer erzählten mir, warum es ihnen nicht mehr genügt, sich «nur» vegetarisch zu ernähren. Eier, zum Beispiel. «Dafür werden doch keine Tiere getötet?», fragte ich. Leider doch: Alleine in der Schweiz werden jedes Jahr über 2,5 Millionen männliche Küken am Tag des Schlüpfens umgebracht. Denn Huhn ist heutzutage nicht mehr gleich Huhn.
Es gibt Fleischrassen zur Pouletfleischproduktion, und es gibt Legerassen. Die Brüder der Legehennen-Küken sind die grossen Verlierer der heutigen Eierproduktion. Sie setzen zu wenig Fleisch an, um als Masttiere genutzt zu werden und sie können bekanntlich keine Eier legen. Sie sind nutzlos für die Eierproduktion – lebendiger Abfall. In speziellen Schränken werden die Küken mit CO2 vergast. Ob bio oder konventionell – dieser «Produktionsschritt» geht jedem gelegten Ei voraus.
Nicht extrem – aber extrem konsequent
«Wir betrachten Leben nicht als Abfall», sagen Corinna und Daniel Pfister, nachdem sie mich über das Schicksal der männlichen Legehühner aufgeklärt haben. Ist es extrem, wenn Veganer das millionenfache Töten von Küken nicht mehr unterstützen wollen? Ist es extrem, wenn sie mit ihrem täglichen Einkauf lieber eine Industrie unterstützen, die pflanzliche Lebensmittel produziert und kein Tierleid verursacht?
Die veganen Rezepte aus dem «DOK»-Film
Nach den Recherchen zu diesem Film und vielen Gesprächen mit Veganerinnen und Veganern bin ich persönlich zum Schluss gekommen: Veganer sind nicht extrem. Sie sind höchstens extrem konsequent. Sie machen auf die Missstände im Umgang mit unseren Nutztieren aufmerksam. Sie regen zum Denken an. Sie provozieren mit einer klaren Haltung. Sie sind der Stachel in unserem Fleisch – und der soll ruhig ein bisschen weh tun.
Mirjam Hauser vom GDI Gottlieb Duttweiler Institut analysiert Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Konsum mit den Schwerpunkten Werte, Einstellungen, Konsumentenverhalten und Ernährung:
Bücher zum Thema
- Karen Duve: Anständig essen – ein Selbstversuch. Goldmann-Verlag, 2012
- Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen. Verlag C.H. Beck, 2014
- Melanie Joy: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus – eine Einführung. Compassion media, 2013