Verena und Markus Senn sind seit den wilden Zeiten von 1968 ein Paar. Sie wuchsen im Zürcher Oberland auf und lernten sich als Lehrlinge auf der täglichen Zugfahrt zu ihren Lehrbetrieben in der Stadt Zürich kennen.
Verena wollte Buchhändlerin werden, Markus Schriftsetzer. In ihren Gesprächen ging es 1968 weniger um die politischen Momente, die damals in den heissen europäischen Sommer mündeten. Musik war spannender als Politik. Das «Sgt. Pepper»-Album der Beatles funktionierte als erster gemeinsamer Nenner. Auch die Lebensträume waren ähnlich.
Von der Hippie-Bewegung beeinflusst, schlossen sie sich den «Bärglütli» an, einer Gruppe von Aussteigern mit dem Ziel, in einem abgelegenen Tal im Wallis als Selbstversorger zu leben. Funktioniert hat es nicht, aber die Erfahrungen daraus waren wertvoll für ihre gemeinsame Zukunft.
Über Umwege durch Wohngemeinschaften und Kommunen schafften sie es nach Jahren, sich den Traum vom einfachen Leben zu erfüllen. Hinter dem letzten schon damals unbewohnten Bergdorf im Valle di Campo, erschufen sie sich vor über 30 Jahren auf der Alp «Munt la Reita», einen Steinwurf von der italienischen Grenze entfernt, eine Bleibe.
Die ersten Jahre auf 1400 Metern waren hart. Am Anfang lebte die Familie Senn mit ihren Kindern in Tippi-Zelten. Im Winter fanden sie Unterschlupf im Pfarrhaus im Tal. Lange verweigerte ihnen der Kanton die Baubewilligung für die dringend benötigte Behausung.
Es brauchte damals den «Beobachter» und die «Rundschau» von SRF, um etwas zu bewegen. Tessiner Politiker mit Weitsicht übernahmen schliesslich den Rest und wussten das Engagement von Verena und Markus Senn in die richtigen Bahnen zu lenken.
Ihnen war bewusst, dass nur durch bäuerliche Nutzung die Verbuschung der Alpweiden gestoppt werden konnte. Da im Dorf nur noch ein paar wenige Einwohner lebten, wurden die Alpwiesen nicht mehr genutzt und überwucherten.
Nach und nach erweiterte die Familie Senn auf der Alp ihren kleinen Bauernbetrieb, baute Ställe für Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner. Sie pflanzten Beeren und Gemüse an, und begannen Käse zu produzieren. Was sie nicht selbst zum Leben brauchten, verkauften sie auf dem Markt in Locarno.
«Für unsere Kinder haben wir etwas anderes gesucht, als die Betonwelten einer Stadt», stellt Verena Senn heute nicht ohne Stolz fest. Zwei Töchter und vier Söhne hat das Paar. Alle schon lange erwachsen und ausgeflogen, bis auf Sohn Samuel, der nach wie vor auf dem Hof lebt und arbeitet.
Wir sind auf dem Gipfel und wissen nicht wie weiter.
Im AHV-Alter bleibt nun die Sorge um die Hof-Nachfolge eine grosse Hypothek. Vor allem Markus Senn ist bedrückt: «Wir hatten ein so hoch gestecktes Ziel, aber haben nie daran gedacht, dass wir es wirklich erreichen. Und jetzt sind wir auf dem Gipfel und wissen nicht, wie weiter.» Dass auch ein Bergbauer ein Burnout haben kann, wird ihm erst nach dem Zusammenbruch an seinem Geburtstag bewusst.
Die Eltern bräuchten Entlastung und die Gewissheit, dass es mit dem Hof auch im AHV-Alter weitergeht. Als einziges der sechs Senn-Kinder hat Samuel eine landwirtschaftliche Ausbildung abgeschlossen. Er käme als Nachfolger am ehesten infrage. Doch Samuels Unentschlossenheit, den Hof zu übernehmen, bedrückt die Eltern.
Der grösste Wunsch des 42-Jährigen wäre eine Familie zu gründen. Aber eine Partnerin zu finden, die auf einem abgelegenen Alphof leben möchte, erweist sich als schwierig. Sein Glück und die Zukunft des Hofes hängen schicksalhaft zusammen.