Aus der aktuellen Sicht der Krise von Wirtschaft und Gesellschaft wegen des Coronavirus erscheint der Swiss Travel Day von letztem Herbst wie eine Erinnerung an eine andere Zeit: An ihrem grössten Branchenanlass priesen die Schweizer Reiseveranstalter ihre Flugreisen und Kreuzfahrten in alle Welt vor hunderten von Interessierten.
Mittendrin: Christian Zeyer, CEO des Wirtschaftsverbandes Swisscleantech. Als Vorkämpfer für eine Schweiz ohne Öl, Gas und Kohle befand er sich in der Höhle des Löwen.
Corona und CO2: «Höchstens ein Aufschub»
«Wir sind keine NGO», sagte ihm Kuoni-Direktor Dieter Zümpel. Ein Wirtschaftsunternehmen könne nicht nur an der CO2-Vermeidung arbeiten. Und Jürg Müller, Präsident des Interessenverbandes Fluggesellschaften Schweiz lachte laut heraus bei der Frage, ob er eine Flugticketabgabe befürworte, wie das revidierte CO2-Gesetz sie verlangt. «Natürlich nicht; die Luftfahrt ist per se ein globales Gewerbe und braucht globale Lösungen».
Nun, fünf Monate später, hofft die Swiss auf Staatshilfe und groundet vorläufig ihre halbe Flotte, die italienische Fluggesellschaft Alitalia steht vor der Pleite und der Luftfahrt-Weltverband Iata rechnet mit Umsatzeinbussen bis zu 113 Milliarden Dollar.
Hat sich das Problem der fossilen Energien und der damit verbundenen Klimaerwärmung mit der Corona-Krise also von selbst gelöst, Herr Zeyer? «Leider nein», seufzt er. Eine Rezession würde die CO2-Emissionen natürlich reduzieren, der Effekt aber sei kurzfristig. Die Statistik zeigt: Nach dem Terroranschlag von 9/11 ist die Zahl der Passagiere auf Schweizer Flughäfen während vier Jahren gesunken, danach aber stark angestiegen. Zeyer: «Selbst wenn niemand mehr fliegen würde, wäre der CO2-Ausstoss immer noch zu hoch».
«Die Umwelt hat keinen Preis»
Das Dilemma des Christian Zeyer: Er begrüsst die Aktionen der Klimaaktivisten, grenzt sich aber von ihrer Kapitalismuskritik ab. Er versteht das Profitdenken der Wirtschaft, will sie aber von einer CO2-Steuer überzeugen.
«Das Problem ist, dass die Umwelt keinen Preis hat», sagt der promovierte Chemieingenieur. Am Beispiel eines in China hergestellten T-Shirts erklärt er, dass die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung mit Kohlestrom entstehen, in China gratis seien. Es brauche eine CO2-Abgabe, um Produkte, die mit schmutzigen Energien hergestellt werden, zu verteuern und so beim Konsumenten ein Umdenken zu bewirken.
Greta Thunberg bringt ihn zum Weinen
Trotz Sisyphusarbeit ist die Leidenschaft des 58-Jährigen spürbar. Auf Greta Thunberg angesporchen, schiessen ihm plötzlich Tränen in die Augen.
Er habe auch Kinder, ihm sei sehr bewusst, was seine Generation angerichtet habe. Wo nur ist der Ursprung dieser starken Emotionalität? Seine Mutter habe ihn stark geprägt, sagt er.
Schon als Kind umweltbewusst
Die heute 90-jährige Yvonne Zeyer, ehemalige Ärztin aus Luzern, erzählt, dass sie bereits in den 1960er-Jahren alarmiert war: über den ungesunden «Konsumismus» ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Sie war auch Lehrerin für Gesundheits- und Umweltfragen und habe mit ihrem Sohn viel über die damalige Umweltverschmutzung gesprochen. «Unser Land ist in Gefahr», lautete der Titel eines Vortrags, den der 10-jährige Christian aus eigenem Antrieb schrieb.
Er bat seinen Lehrer, ihn vor der Klasse vorlesen zu dürfen. «Es kann sein, dass wir in 20 Jahren nur noch mit der Gasmaske in die Stadt gehen. Die Ölheizungen, Fabriken und Töffli verbrauchen unsere Luft und verpesten sie.»
Man schrieb das Jahr 1972. Ihre Angst habe sich vermutlich auf ihr Kind übertragen, sagt Yvonne Zeyer. Wenn sie den Vortrag heute lese, habe sie ein schlechtes Gewissen.
Kampf fürs revidierte CO2-Gesetz
Die Albträume des jungen Christian Zeyer bewahrheiteten sich aber nicht: 1986 traten strenge Grenzwerte für Abgase in Kraft, die die Einführung des Katalysators erforderlich machten. Seither gelten zudem Grenzwerte für Schadstoffe von Fabriken und Heizungen.
Es waren also Gesetze, die dafür sorgten, dass die Luft sauberer wurde. Dasselbe fordert der promovierte Chemieingenieur Zeyer nun fürs Treibhausgas CO2, welches das Klima erwärmt. Mit dem revidierten CO2-Gesetz sollen Benzin, Diesel, Heizöl und das Fliegen verteuert werden.
«CEO for Climate»
Swisscleantech hat sich eine Aktion ausgedacht, um Parlamentarier zu überzeugen, diese Woche dem CO2-Gesetz zuzustimmen: «CEO for Climate». In monatelanger Arbeit haben ehrenamtliche Mitarbeiter die Firmenchefs für die Unterzeichnung des Pariser Klimaziels (netto 0 CO2-Emissionen bis 2050) zu gewinnen versucht. 217 Unterschriften kamen bis Dezember zusammen.
Lobbyist im Bundeshaus
Diese frohe Botschaft will Christian Zeyer neu gewählten Parlamentarierinnen in der Wintersession verkünden. Ob er wohl den Schwung des grünen Wahltsunamis im Rücken hat, als er CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt bittet, dessen Parteikollegin Heidi Zgraggen aus dem Rat zu holen?
Die ehemalige Urner Regierungsrätin ist frisch gebackene Ständerätin. Christian Zeyer setzt sich in eine Nische. Wartet. Sieht etwas verloren aus. «Hier sind alle aus Funk und Fernsehen bekannt, mich aber kennt niemand». Das «Anquatschen» sei nicht ganz einfach, er lächelt. In der Sache Überzeugungstäter, im Auftreten etwas ungelenk.
Auftritt Stefan Müller-Altermatt. Die Heidi habe leider keine Zeit, sie werde sich per Mail melden. «Bestellt und nicht abgeholt!» Der Lobbyist nimmt’s mit Humor. Zweiter Versuch: Warten auf die neue FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro, auch sie vormals Regierungsrätin. Die Mitteparteien gelten als Wackelkandidaten beim CO2-Gesetz.
Firmen-Aktion als Mittel zum Zweck
Diesmal klappt der Kontakt. FDP-Nationalrätin de Quattro zeigt sich beeindruckt von den vielen Firmen, die das Klimaziel unterschrieben haben. «Es sind grosse Partner wie Novartis und Implenia, aber auch Start-ups, der Verband tritt glaubwürdig auf.» Hilft ihr diese Aktion bei der Entscheidung übers CO2-Gesetz? «Ja», sagt die FDP-Frau.
Verpflichten sich die Firmen mit ihrer Unterschrift, das Klimaziel zu erreichen? Nein, sagt Zeyer. Die Kritik, dass «CEO for Climate» damit eine reine Werbeplattform sei, weist er zurück.
Viele Firmen hätten nicht unterschrieben, weil sie das Klimaziel Stand heute nicht garantieren könnten. «Wir sind sehr froh, dass über 200 Firmen mitmachen und sich der Herausforderung stellen». Dass Swisscleantech sich mit dieser Aktion angreifbar mache, nehme man in Kauf. «Sie ist Mittel zum Zweck, um das CO2-Gesetz durchzubringen.»
Die auf diese Woche angesetzte Abstimmung findet allerdings nicht statt: Die Session wurde wegen der Corona-Pandemie abgebrochen.
Swisscleantech in Finanznöten
Christians Zeyers Alltag bleibt Sisyphusarbeit. Mit rund 350 Firmen ist Swisscleantech ein sehr kleiner David neben Goliath Economiesuisse mit rund 100’000 Mitgliedern. Swisscleantech finanziert sich zu 80 Prozent aus Geldern von zwei Stiftungen, die nachhaltige Projekte finanzieren.
Ausgerechnet 2019, im Jahr des 10-jährigen Verbandsjubiläums, erklärte die Mava Foundation ihren Rückzug. Swisscleantech müsse auf eigenen Beinen stehen und sich durch Mitgliederbeiträge finanzieren. Warum aber ist es so schwierig, Mitglieder zu gewinnen?
David gegen Goliath
Der Beitritt brauche «ein bisschen Mut», sagt Res Witschi, Leiter Nachhaltigkeit bei Swisscom. Swisscom ist der einzige SMI-kotierte Grosskonzern, der bei Swisscleantech Mitglied ist.
Swisscleantech positioniere sich als Gegenpol zu Economiesuisse, sagt Witschi. Und mit dem Goliath, dessen Klimaziele viel bescheidener sind, würden es sich viele Firmen nicht verscherzen wollen. Swisscom riskiert die Konfrontation: Der Konzern ist auch im Vorstand von Economiesuisse. Bei der Klimapolitik aber wolle man weiter gehen als der Goliath, sagt Witschi. Es bleibe abzuwarten, wie Economiesuisse darauf reagiere.
Noch lange nicht genug
Die Oak Foundation mit Sitz in Genf hat Swisscleantech jetzt nochmals eine Million für die nächsten zwei Jahre in Aussicht gestellt und damit die Arbeitsplätze des Verbands gesichert. Auflage ist ein substanzielles Wachstum der Mitgliederzahl.
Es ist Sonntagabend 19 Uhr, als Christian Zeyer den neuen Businessplan für die Stiftung schreibt. Er sieht müde aus. Manchmal habe er die Fantasie, alles hinzuschmeissen und nur noch handwerklich zu arbeiten, sagt mir der Chemieingenieur mit Doktortitel. «Aber ich bin überzeugt, dass wir eine nachhaltige Wirtschaft brauchen, und dafür will ich mich einsetzen.» Also noch lange nicht genug? Nein, sagt er. «Sicher nicht!»