In seiner Funktion als Intensivmediziner und Leiter des Bereichs Organspende am Inselspital Bern führt Mathias Nebiker viele Angehörigengespräche. Oft ist die trauernde Familie überfordert mit der Frage nach einer Organspende. 60 Prozent der Angehörigen entscheiden sich dagegen, wenn ihnen der Wunsch des Verstorbenen nicht bekannt ist. Obwohl sich in Umfragen jeweils eine grosse Mehrheit der Bevölkerung für die Organspende ausspricht.
Die Angehörigen, unter Schock und in Trauer, ringen am Bett des Verstorbenen um Antworten. Zuweilen gibt es gar Streit. Das sind belastende Situationen, auch für das Pflegepersonal und die Ärzte.
Ich würde mir wünschen, dass sich jeder zu Lebzeiten entscheidet, ob er seine Organe spenden will oder nicht. Denn sonst müssen es die Angehörigen tun. Das ist eine grosse Belastung für sie.
Gesetzgebung zur Organspende anpassen
Seit Jahren bemüht sich der Bund um eine höhere Spenderrate. Zwar sind die Zahlen leicht steigend, die Schweiz liegt im internationalen Vergleich jedoch zurück. Die Kampagnen zeigen keinen durchschlagenden Erfolg, wie die aktuellen Statistiken zeigen:
Die Organspende-Initiative «Organspende fördern – Leben retten» will deshalb die Gesetzgebung anpassen: Jede urteilsfähige Person in der Schweiz soll Spender oder Spenderin werden, wenn sie sich zu Lebzeiten nicht dagegen ausspricht.
Die sogenannte Widerspruchslösung ist umstritten, selbst unter direkt Betroffenen wie Eliane Gutzwiller, die seit fünf Jahren mit einer Spenderlunge lebt.
Ich bin kein Fan dieser Lösung. Etwas so Entscheidendes sollte nicht über einen Menschen hinweg entschieden werden.
Die Nationale Ethikkommission lehnt die Widerspruchslösung ebenfalls ab. Sie sieht den Schutz der Persönlichkeitsrechte in Gefahr. Auch dem Bundesrat geht die Initiative zu weit. Er will einen Systemwechsel, tritt aber für eine erweiterte Widerspruchslösung ein: Die Familie hätte weiterhin das letzte Wort, wenn der Wille des Verstorbenen nicht dokumentiert ist.
Ein entsprechender Gesetzestext ging in Vernehmlassung. Die katholische und die reformierte Kirche verwerfen aber sowohl die Initiative wie auch den Gegenvorschlag. Die CVP teilt diese Meinung, während SVP, FDP und die Grünliberalen eher den Gegenvorschlag unterstützen. Die SP gibt keine Empfehlung ab.
Nach Ansicht von Mathias Nebiker, Leiter des Bereichs Organspende, hätte die erweiterte Widerspruchslösung eine gewisse Signalwirkung.
Es wird auf der Intensivstation, vom Ablauf her, nichts ändern. Wir würden mit den Angehörigen genauso sprechen, wie man das heutzutage macht. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es in der Grundhaltung der Bevölkerung etwas ändert.
Gemäss einer repräsentativen Umfrage scheint die Initiative bei einer Mehrheit der Stimmberechtigten auf Zustimmung zu stossen – allerdings mit Vorbehalten.
Zu Lebzeiten selbst entscheiden
Ob ja oder nein: Seit gut einem Jahr bietet ein Nationales Organspenderegister die Möglichkeit, den Willen ohne grossen Aufwand schriftlich festzuhalten. Bisher haben sich 70’000 Menschen eingetragen. Drei davon wurden zu Organspendern. Die Anzahl der Registereinträge variiert von Kanton zu Kanton beträchtlich.
Auch wenn die Widerspruchslösung zurzeit die politische Diskussion beherrscht, möchte Eliane Gutzwiller, selber lungentransplantiert, einen anderen Weg gehen.
Ich fände es wichtiger, dass ein Entscheid zur Pflicht wird. Dass bei der Krankenkasse festgehalten werden muss, ob der Versicherte Spender sein will oder nicht.
Die Ethikkommission bezeichnet diesen Lösungsvorschlag als «Erklärungsregelung». Sie trage dem Selbstbestimmungsrecht am meisten Rechnung, hält sie fest. Faktisch geht es um einen Zwang zum Entscheid. So liesse sich der Gedanke an die eigene Endlichkeit nicht mehr verdrängen.
Zunächst aber wird die Politik Stellung beziehen zu Volksinitiative und zum bundesrätlichen Gegenvorschlag. Sollte sich das Parlament hinter die erweiterte Widerspruchslösung stellen, dürfte die Initiative zurückgezogen werden.
Der Kampf um ein normales Leben
Eliane Gutzwiller schliesst nicht aus, dass sie selber ein zweites Mal auf eine Spenderlunge angewiesen sein wird. Die 26-jährige leidet unter der Stoffwechselkrankheit Cystische Fibrose, die das Lungengewebe zerstört. Die Folgen sind Atemnot und Sauerstoffmangel.
Vor fünf Jahren wurde Eliane eine Spenderlunge transplantiert. Sie lag damals im Spital und hatte mit dem Leben schon abgeschlossen. Die Dankbarkeit für die zweite Chance ist gross.
Allerdings leidet Eliane Gutzwiller seit letztem Frühjahr unter einer chronischen Abstossung der Spenderlunge. Mit einer Art Blutwäsche, der Photopherese, kann der Abbau der Lungenleistung in Schach gehalten werden.
Jeden Monat verbringt Eliane dafür zwei Tage am Universitätsspital Zürich. Und ihr Kampfeswille ist ungebrochen. Sie will leben und so viel unternehmen, wie es die Gesundheit erlaubt. Sie teilt ihre Erfahrungen in einem Blog und auf Social Media mit vielen Followern.
Neuer Start im Alter von acht Jahren
Auch für Mireya Rast war eine Transplantation lebensrettend. Die Zweitklässlerin erhielt im Februar dieses Jahres eine Spenderleber, genauer: den Teil einer Erwachsenenleber. Mireya leidet an einem äusserst seltenen Gendefekt.
Ein alltäglicher Infekt wie Schnupfen oder Husten konnte für sie sehr gefährlich werden. Zweimal erkrankte sie lebensbedrohlich, die Leber versagte total. Einzig eine Organtransplantation versprach Heilung, sie wird auf die dringliche Warteliste gesetzt.
Schnell wird Mireya aufgeboten: Mitten in der Nacht bringt sie ein Helikopter nach Genf, ins Schweizerische Kinderleberzentrum in Genf. Die Transplantation verläuft gut. Nach einer Woche aber treten Komplikationen auf, die Leber blutet.
Die Eltern sind erneut in Todesangst um ihre Tochter. Das Warten wird zur Zerreissprobe. Erst nach einem Monat können sie das Spital endlich verlassen.
Gedrosseltes Immunsystem
Nicola Heyser musste sich vor fast zehn Jahren einer Herztransplantation unterziehen. Die Profireiterin litt unter Herzinsuffizienz. «Ich bin so unendlich dankbar, kann ich meiner Tochter beim Aufwachsen zusehen», sagte Nicola Heyser nach der Operation.
Der Weg zurück ins Leben aber war schwer. Schritt für Schritt eroberte sich Heyser ihren Alltag zurück, obwohl ihr Immunsystem gedrosselt ist, damit der Körper das fremde Organ nicht abstösst.
Nicola Heyser geniesst das neue Leben, auch wenn der Alltag mit den starken Medikamenten nicht immer einfach ist.