2020 warfen Kundinnen und Kunden dem jüngsten Bestatter der Schweiz, Kevin Huguenin, unter anderem Wucher, Betrug und pietätloses Verhalten gegenüber Verstorbenen und Trauernden vor. Die Medien berichteten ausführlich über den in Turbulenzen geratene Shootingstar.
Elf Monate lang prüfte die Berner Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe minutiös. Sie kam zum Schluss, Kevin Huguenin habe sich nicht strafbar gemacht. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen ihn ein.
Obwohl seine Unschuld offiziell bewiesen ist, steht der mittlerweile 23-Jährige vor einem riesigen Scherbenhaufen: Kaum noch Aufträge, nur noch ein Mitarbeiter auf Freelance-Basis.
Wie damals in der Startphase seines Unternehmens stapelt er nun seine Särge wieder in einer kleinen Garage. Sein Ruf ist durch die mediale Präsenz während der Untersuchung ruiniert.
Quo vadis: weitermachen oder aufgeben?
Sein Image ist ramponiert, ans Aufgeben denkt Kevin Huguenin aber keine Sekunde. Für ihn ist klar: Hinter vielem steckt die Konkurrenz.
Von Anfang an sei er gewissen Berufskollegen ein Dorn im Auge gewesen – mit Bestattungen zu einem Preis von unter 2000 Franken und der Abholung von Verstorbenen im ganzen Kanton.
Wir reichen die Hand, wenn du dich an minimale Regeln hältst.
Das sei branchenunüblich. Er sagt, er sei von Kollegen bedroht worden. Sie forderten, er müsse sich an die branchenüblichen Abmachungen halten.
Nach Einstellung der Untersuchung meldeten sich einige Berufskollegen und Berufskolleginnen bei Kevin Huguenin, via E-Mail und Presse, mit den Worten: «Wir reichen die Hand, wenn du dich an minimale Regeln hältst.»
Die Berner Staatsanwaltschaft kam bei ihren Untersuchungen neben Huguenins Unschuld auch zum Schluss, dass die Branche geprägt sei von Missgunst und Skepsis.
Wenig überrascht von dieser Erkenntnis ist Adrian Willimann, Sargschreiner aus dem Luzerner Hinterland. Er kennt die Schweizer Bestatterszene wie kaum ein Zweiter. Seit 40 Jahren ist er in der Branche tätig und hat Kevins Geschichte von Anfang an miterlebt.
Kevin ist oft sehr persönlich angegriffen worden. Auch von einem alteingesessenen Berner Bestatter-Ehepaar – Jürg und Iris Beutler.
Sie schrieb über Kevin einen Leserbrief in der «Berner Zeitung», und er gab Kevin beim traditionellen Bestatteressen den Rat, er solle doch zuerst eine Lehre machen. Für die beiden liegt das Hauptproblem im Zwischenmenschlichen.
Das Krematorium Bern war das einzige Krematorium, das Kevin von Anfang an erlaubte, Verstorbene zu bringen. Den anderen schien er zu jung und zu wenig vertrauenswürdig. Auch die Geschäftsführerin des Krematoriums Bern, Silvana Pletscher, musste vor der Staatsanwaltschaft aussagen.
«Es gilt die Unschuldsvermutung» nützt Beschuldigtem wenig
Der Schaden für Kevin Huguenin ist immens, obwohl während der ganzen Untersuchung immer die Unschuldsvermutung galt. Und er nach Abschluss der Untersuchungen offiziell als unschuldig erklärt wurde.
Doch das alles nützt ihm wenig: Sein Ruf ist ruiniert, er hat kaum noch Aufträge. Wer trägt die Verantwortung für diese persönliche Misere? Wie ist das in einem Rechtsstaat wie der Schweiz überhaupt möglich?
Die zur Eröffnung einer Strafuntersuchung erforderlichen tatsächlichen Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein.
Die Berner Staatsanwaltschaft will sich gegenüber SRF nicht im Detail zum Fall Huguenin äussern. Der Informationsbeauftragte der Berner Staatsanwaltschaft, Christof Scheurer, lässt sich folgendermassen zitieren: «Die zur Eröffnung einer Strafuntersuchung erforderlichen tatsächlichen Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein. Blosse Gerüchte oder Vermutungen genügen nicht.»
Das ist bei Kevin Huguenin offenbar der Fall gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe zwar die Möglichkeit, sich zu entscheiden, nicht aktiv zu werden. Dafür müsse sie aber klar ausschliessen können, dass die fraglichen Strafbestände eindeutig nicht erfüllt sind.
Ein Beschuldigter hat in der Schweiz die Möglichkeit, gegen die Kläger aktiv zu werden. Christof Scheurer: «Es ist jeder beschuldigten Person, welche die Auffassung vertritt, dass gegen sie Anzeige aus nichtigen Gründen eingereicht worden ist, unbenommen, ihrerseits ein Verfahren wegen Ehrverletzung zu initiieren.»
Darauf hat Huguenin verzichtet. Als Kläger wäre er verpflichtet gewesen, die mutmasslichen Gerichts- und Anwaltskosten von weit über 10’000 Franken vorzuschiessen. Selbst wenn ihm diese zurückerstattet worden wären, ist fraglich, was ihm eine solche Verurteilung – nebst der persönlichen Genugtuung – gebracht hätte.
Beispielhaft erwähnt sei hier der Fall Jörg Kachelmann. Dessen Ruf wurde 2010 öffentlich massiv beschädigt, als eine Ex-Freundin ihn der Vergewaltigung beschuldigte und Kachelmann medial an den Pranger gestellt wurde.
Obwohl der ehemalige Fernsehmoderator von den Vorwürfen freigesprochen wurde, haftet ihm noch heute ein anrüchiges Image an.
Im Endergebnis hätten ihm Verurteilungen der Personen in seiner Sache nichts gebracht.
Huguenins Anwalt meint gegenüber SRF: «Die Kosten und der daraus resultierende, vernachlässigbare Nutzen waren ausschlaggebend, Herrn Huguenin von Prozessen abzuhalten. Ich habe ihm von der Einreichung von Strafanzeigen abgeraten, damit er sich auf das wesentliche Verfahren konzentrieren kann und nicht noch mehr Geld verliert. Im Endergebnis hätten ihm Verurteilungen der Personen in seiner Sache nichts gebracht. »
Um das Geschäft wieder anzukurbeln, entschied sich Kevin Huguenin, einfach mit seiner Arbeit zu überzeugen. Er ist sieben Tage pro Woche erreichbar, 24 Stunden am Tag. Es gibt keinen Auftrag, den er ablehnt. Und er hat gewisse geschäftliche Anpassungen gemacht, die in der Vergangenheit bei einigen Kunden und Kundinnen für Unmut sorgten.
Vom Shootingstar zum Sündenbock retour: Wie geht das?
Aus Sicht von Kommunikationsexperte Marcel Kamm hat Kevin Huguenin richtig gehandelt, um den entstandenen Schaden nicht noch grösser zu machen: «Es ist wichtig, allfällige Fehler einzugestehen, sich dafür zu entschuldigen und zeitnah mit entsprechenden Anpassungen zu reagieren.»
Kevin Huguenin hat, neben der Anpassung punkto Mehrwertsteuer, auch das Wording seiner Produkte angepasst: Er spricht nicht mehr von Pauschalangeboten, sondern von Basisangeboten.
Wenn eine Person der Öffentlichkeit über Nacht in einen Shitstorm gerät, können Medien ein veritabler Brandbeschleuniger sein.
Marcel Kamm rät Kevin Huguenin, auch in Zukunft auf einen gehässigen Rachefeldzug zu verzichten, weder gegen die Medien noch gegen die Kläger oder die Konkurrenz. Er müsse sich stets bewusst sein, dass er mit seinen Medienauftritten in der Vergangenheit zwar viele Aufträge habe an Land ziehen können, er gleichzeitig aber auch im Glashaus sitze.
Kamm sieht seine mediale Präsenz als Vor- und Nachteil zugleich: «Wenn eine Person der Öffentlichkeit über Nacht in einen Shitstorm gerät, können Medien ein veritabler Brandbeschleuniger sein.» Das hat Kevin Huguenin nun voll erwischt.
Der Vorteil für ihn: Die Publikumsmedien interessieren sich auch jetzt für seine Geschichte. Dies sollte er nutzen, um Fehler einzugestehen, aber auch um aufzuzeigen, wie sein Unternehmen den weiteren Weg gestalten wird.
Geschäft erholt sich langsam
Ein Jahr nach der Einstellung des Verfahrens hat Kevin Huguenin rund die Hälfte der Aufträge eines durchschnittlichen Monats vor der Krise.
Kevin Huguenin hat es geschafft, sich aus einer fast ausweglosen Situation zu befreien. Um seinen Ruf vollumfänglich wiederherzustellen, in einer Branche, die so stark auf Vertrauen basiert, dafür braucht er wohl noch etwas länger.