«Wir machen das, weil wir keine andere Möglichkeit haben, um Geld zu verdienen», sagt eine junge Frau aus Nigeria, die an der Langstrasse der Prostitution nachgeht.
Sie wohnt zusammen mit anderen Westafrikanerinnen in einem kleinen Hotel unter schlechtesten Bedingungen. Nach Schätzungen arbeiten regelmässig etwa 150 Frauen aus Nigeria im Kreis 4.
Die meisten Frauen teilen das gleiche Schicksal: In der Hoffnung auf ein besseres Leben haben sie sich in Nigeria oder im Kongo von Menschenhändlern mit dem Versprechen anwerben lassen, sie würden ihnen in Europa Arbeit in einem Restaurant besorgen.
Systematisch werden sie dann nach Europa geschleust. Einmal hier, werden sie zur Prostitution gezwungen, denn die Kosten für die Reise, die müssen sie zuerst abbezahlen.
Personen aus Drittstaaten, wie Nigeria, können nicht legal in Europa arbeiten, sie sind auf jemanden angewiesen, der ihnen den illegalisierten Weg ermöglicht.
Das Fraueninformationszentrum FIZ kümmert sich um Frauen in diesen Situationen, sofern diese den Mut fassen, auszusteigen und gegen ihre Peiniger auszusagen. Das FIZ bietet ihnen zudem Schutzräume an, wo sie untertauchen können.
Lelia Hunziker vom FIZ ist jedoch wenig optimistisch, dass den Frauen wirklich geholfen werden kann: «Personen aus Drittstaaten, wie Nigeria, können nicht legal nach Europa migrieren, die können auch nicht legal in Europa arbeiten, das heisst, sie sind eigentlich auf jemanden angewiesen, der ihnen den illegalisierten Weg ermöglicht und das bringt sie in eine Schuld, die sie nachher ausbeutbar macht.» Wehren sie sich, werden sie bedroht und mit Gewalt gezwungen.
Die Frauen werden mit ihren Kindern in Nigeria unter Druck gesetzt.
Cornelia Zürrer betreibt an der Langstrasse für die Heilsarmee das Nachtcafé «Rahab», wo sich Prostituierte treffen können. Das Geschäft mit der Zwangsprostitution aus Nigeria habe bereits vor mehr als zehn Jahren begonnen, sagt sie.
Die Frauen seien sehr verschlossen und verängstigt und würden oft von Frauen kontrolliert, die früher ebenfalls in der Prostitution gearbeitet hätten, sogenannten «Madames».
«Die Frauen haben uns gesagt, die Kontrolle sei da oben in ihren Köpfen. Sie werden unter Druck gesetzt, mit ihren Kindern in Nigeria.» Ihnen werde gedroht, dass ihren Kindern oder der Familie etwas passiert, falls sie nicht jeden Monat bezahlen. Fügen sie sich nicht, werden ihre Verwandten in Nigeria tatsächlich verfolgt.
Bereits in ihrer Heimat werden die Frauen mit für sie mächtigen, sogenannten Juju-Ritualen abhängig gemacht. Sie müssen Haare, Blut und ein Versprechen abgeben zu gehorchen, ansonsten würden sich dunkle Mächte an ihren Verwandten rächen.
Dublin-Abkommen hilft den Menschenhändlern
Neben diesem psychischen Druck spielt auch das Dublin-Abkommen den Menschenhändlern in die Hände. Wird eine Frau, die mit einem Touristenvisum von Italien in die Schweiz verschoben wurde, an der Langstrasse bei ihrer Arbeit erwischt, wird sie wieder nach Italien zurückgeschafft – direkt in die Arme ihrer Peiniger.
Entscheidet sich eine Frau bei der Polizei auszusagen, darf sie nach heutiger Gesetzgebung nur so lange in der Schweiz bleiben, bis das Verfahren beendet ist. Dann wird sie ebenfalls zurückgeschafft.
Im Wissen darum wendet sich kaum eine Frau an die Polizei, weshalb dieser auch die nötigen Zeugenaussagen für erfolgreiche Ermittlungen und Prozesse gegen die Menschenhändler fehlen. Cornelia Zürrer kann nicht nachvollziehen, warum man nicht endlich handelt.
Das ist Sklaverei.
Stephan Fuchs leitet die NGO «Trafficked Victim Unit». Er arbeitet mit der Polizei zusammen und recherchiert seit Jahren zur Struktur und Vorgehensweise der westafrikanischen Mafia. Er sagt: «Das ist Sklaverei, denn die Opfer werden von Nigeria bis nach Europa ausgebeutet. Sie müssen 60 bis 80 Tausend Euro zurückzahlen.»
Eine der bekanntesten Routen führt laut Fuchs von Edo State im Süden Nigerias über Niger nach Libyen. Für diese erste Etappe verlangen die Menschenhändler meist einen Vorschuss.
Im libyschen Sheba werden die Frauen in ein sogenanntes «Connectionhouse» gebracht, wo sie sich das erste Mal prostituieren müssen, um sich einen Teil des Geldes für die Weiterreise zu verdienen. Wehren sie sich, werden sie mit Gewalt gezwungen.
Von Libyen aus werden die Frauen per Boot nach Italien gebracht. Brescia ist nach den Recherchen von Stephan Fuchs ein wichtiger Knotenpunkt, von wo aus die nigerianische Mafia in verschiedenen europäischen Ländern operiert.
Die Frauen werden mit Touristenvisa alle paar Wochen von einer europäischen Stadt in die andere verschoben, damit sie nirgends Kontakte knüpfen und um Hilfe bitten können. Sie werden ständig kontrolliert – abtauchen und irgendwo anders als in der Prostitution zu arbeiten können sie ja nicht.
Razzien helfen wenig
Die Polizei weiss um das Problem und die schwierige Situation der Frauen. Mehr Razzien – wie von politischer Seite oft gefordert – helfen nach Aussagen von Peter Bächer, Chef der Ermittlungsabteilung für Strukturkriminalität bei der Kantonspolizei wenig.
«Wenn wir eine Razzia machen, müssen wir damit rechnen, dass die Frauen sehr schnell weg sind, an einen anderen Ort gebracht werden, nicht mal in der Schweiz, vielleicht nach Spanien und Italien.»
Bei den Ermittlungsbehörden setzt man darum zunehmend auf einen intensiven Austausch mit Fedpol und Interpol.
«Ich habe mehrmals wöchentlich Kontakt mit den Kollegen in Bern, und ich glaube, dass wir da wirklich auf einem guten Weg sind, dass wir schnell und vor allem auch international vernetzt einen Schritt vorwärtsmachen können in nächster Zeit», sagt Peter Bächer.
Denn Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien kämpfen mit dem gleichen Problem. Während es in Italien und Deutschland jedoch bereits zu Verurteilungen von Menschenhändler gekommen ist, ist das in der Schweiz bisher nicht gelungen.