Die Seehund-Truppe lebt an einem Ort mit Geschichte: einem alten Berliner Ausflugsschiff, auf dem in den 1960er Jahren 14 Menschen aus der DDR geflohen sind. Sie hatten den Kapitän betrunken gemacht und dann die Grenzsperren durchbrochen. Heute liegt das Boot am Rand des Rostocker Hafens und ist die Heimat von Biologen, neun Seehunden und einem Seebären.
Vor gut vier Jahren zogen die Forscher mit der gesamten Seehundabteilung des Kölner Zoos vom Rhein ans Meer nach Rostock: Die Ostsee gehört zum natürlichen Verbreitungsgebiet der Seehunde. Manchmal bekommen die zahmen Tiere sogar Besuch von neugierigen Artgenossen aus der freien Wildbahn.
Die Geheimnisse der Seehunde
Den Seehunden gilt das Augenmerk der Forscher des Marine Science Centers. Spielerisch entlocken sie den Tieren so manches Geheimnis ihrer mittlerweile gut 20 Millionen Jahre währenden Erfolgsgeschichte. Besonders interessiert sie das hochentwickelte System der Seehund-Barthaare, der Vibrissen.
Die Biologen untersuchen gemeinsam mit Physikern und Ingenieuren des Rostocker Lehrstuhls für Strömungsmechanik die besondere Struktur der Vibrissen. Die Barthaare sind stark wellig und im Querschnitt oval. Ihre ungewöhnliche Geometrie erfüllt eine besondere Funktion. Bei Versuchen im Windkanal stellten die Forscher fest, dass die Vibrissen sich innerhalb einer Strömung ungemein stabil verhalten – viel stabiler als wenn sie kreisrund wären.
Das Barthaar als Vorbild für Hightech
Die Wissenschaftler am Rostocker Lehrstuhl für Strömungstechnik entwickeln nach dem Vorbild der Seehundbarthaare eine neuartige Struktur für besonders windstabile Kaminschlote oder Masten für Windkraftanlagen. Denn die sind mit ihren kreisrunden Querschnitten traditionell besonders anfällig für Sturmschäden.
Durch seine besondere Form bleibt das Barthaar der Seehunde während der rasanten Jagd auf Beute aufrecht stehen und wird nicht vom „Fahrtwind“ unter Wasser gegen den Kopf gedrückt. Gerade für die Jagd im oftmals trüben oder gar dunklen Meer spielt der Seehundschnauz daher eine wichtige Rolle als hochempfindliches Sinnesorgan. Die Barthaare von Seehunden sind gut zehn Mal stärker mit Nerven verbunden als die von Katzen. Dadurch sind Seehunde in der Lage, feinste Verwirbelungen durch Fischen zu erfassen und der Spur ihrer Beute bis zu einer Distanz von 40 Metern scheinbar mühelos zu folgen.
Sensoren für autonome Unterwasserfahrzeuge
Das Team um Guido Dehnhardt, Leiter des Marine Science Centers, plant schon den nächsten wissenschaftlichen Coup nach dem Vorbild des Barthaar-Supersinnes der Seehunde: ein hochsensibles Sensor-System für autonome Tauchroboter. Solche Fahrzeuge sollen zum Beispiel minimale Strömungen im Meer erfassen und sie bis zu ihrem Ursprung verfolgen. Solche Mikroströmungen in den Meeren sind bis heute noch weitgehend unerforscht.