Um die wachsenden Flüchtlings- und Migrationsströme in den Griff zu bekommen, rüstet die EU ihre Aussengrenzen technisch auf. Seit 2007 – schon lange vor den Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer – wurden dazu hunderte Millionen Euro in Forschungsprojekte im Bereich Sicherheitstechnologie und Grenzschutz gesteckt. Daraus hervor ging das Europäische Grenzkontrollsystem Eurosur (European Border Surveillance System).
Seit 2013 überwacht es im Testbetrieb die 15‘000 Kilometer langen See- und Landgrenzen des Schengenraums mithilfe neuester Technologie: Roboterpatrouillen, smarte Meeresbojen, Drohnen und Satelliten kontrollieren sämtliche Fluchtrouten, um die Migration in Richtung Europa in Schach zu halten. Brüssel sieht das Grenzkontrollsystem als eine wichtige Waffe gegen Schlepperbanden und für die Rettung von Bootsflüchtlingen.
Zum Einsatz kommt beispielsweise das milliardenschwere Satellitenprojekt «Sentinel», das eigentlich für die Umweltbeobachtung vorgesehen ist. Oder das Drohnenprojekt «Aeroceptor», bei dem unbemannte Helikopter helfen sollen, «nicht kooperative Vehikel», wie Autos oder Motorboote von Schleppern an der Weiterfahrt zu hindern. Seinen ersten Test hat Eusosur auch bereits bestanden.
«Die Rettung der Flüchtlinge ist zweitrangig»
Im April 2014 wurde ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer aus etwa 800 Kilometern Höhe vom Satelliten Radarsat-2 erfasst. Die Zentrale der europäischen Grenzschutzagentur Frontex schickte Hubschrauber und die Küstenwache los und brachte die 38 Bootsflüchtlinge in Sicherheit. Doch es gibt Kritik – und die kommt im EU Parlament von der grünen Partei. Sie befürchtet, dass Eurosur vor allem zur Abwehr von Flüchtlingen diene.
Diese Meinung vertritt auch Simon Sontowski, der an der Universität Zürich die europäische Grenzpolitik erforscht: «Bisher ist der versprochene Beitrag von Eurosur zur Seenotrettung äusserst gering. Im Vordergrund steht die Überwachung verdächtiger Schiffe, die Rettung der Flüchtlinge ist zweitrangig».
Biometrische Aufrüstung für Reisende
Zusätzlich zu den wachsenden Flüchtlingsströmen rechnet die EU bis 2025 mit einem Anstieg von Reisenden aus Drittstaaten von derzeit 190 Millionen auf 300 Millionen pro Jahr. Diese stark wachsenden Menschenströme stellen für die Grenze der Zukunft eine zusätzliche Herausforderung dar.
Auch hier setzt Brüssel auf Hightech und zwar auf die biometrische Identifizierung der Reisenden, «Smart Border» genannt: Personen aus Nicht-EU-Ländern sollen im Ein- und Ausreisesystem EES künftig beim Grenzübertritt in und aus dem Schengen-Raum ihre biometrischen Merkmale wie Fingerabdrücke, Iris oder Gesichtsmerkmale abgeben. Diese Daten werden dann zusammen mit dem Ein- und Ausreisedatum in einer zentralen Datenbank gespeichert.
«Mit der Datenbank will man einerseits wissen, wie viele Menschen in den Schengenraum ein- und ausreisen, und anderseits sollen so Visaüberschreitungen automatisch erkannt werden können», erläutert Grenzforscher Sontowski.
Schätzungen gehen davon aus, dass sich in der EU zwischen 2 und 4 Millionen Menschen mit abgelaufener Aufenthaltsbewilligung aus Drittstaaten aufhalten. Das neue System löst automatisch Alarm aus, wenn eine Person nicht wieder ausgereist ist, obwohl ihr Visum ausgelaufen ist.
Der EU-Datenschutz wird zum Problem
Sontowski beobachtet die Entwicklung kritisch. «Es werden so biometrische Daten von geschätzten 300 Millionen Personen jährlich erfasst. Das sind riesige Datenmengen». Das Problem: Diese biometrische Identifizierung mache nur Sinn, wenn die Daten über mehrere Jahre gespeichert blieben – das aber widerspreche den EU-Richtlinien der Vorratsdatenspeicherung, sagt Sontowski.
Am Flughafen Frankfurt wurde das EES in diesem Sommer erstmals getestet. «Die ersten Erfahrungen sind ernüchternd», berichtet Sontowski von seinem Augenschein in Frankfurt. «Die Handhabung der Fingerabdruckscanner zum Beispiel macht Probleme». Die Reisenden hätten Schwierigkeiten die Geräte zu bedienen und die kontaktlose Zehn-Finger-Erfassung laufe auch nicht einwandfrei.
«Das Kontrollverfahren hat sich zeitlich vervielfacht», so der Experte. Von der versprochenen Beschleunigung könne keine Rede sein. «Man fragt sich schon, ob sich diese Milliarden wirklich lohnen.»
Milliardengeschäft für Sicherheitsfirmen
Die Hochrüstung der Grenzen ist ein Milliardengeschäft, von dem vor allem die Sicherheitsfirmen profitieren. Die Kosten der EU-Grenzschutzprojekte sind beträchtlich. Für Eurosur sind offiziell 300 Millionen veranschlagt. Studien gehen jedoch von 900 Millionen aus. Bei den «Smart Borders» rechnet die EU allein für die zentralen Datenbanken mit 1,4 Milliarden Euro. Die biometrische Aufrüstung der cirka 1800 europäischen Grenzübergänge ist darin noch nicht enthalten. Auch die Schweiz bezahlt, als Schengenmitglied, in diesen Topf. Schätzungen gehen von mindestens 20 Millionen jährlich aus.
Noch hat die EU die Einführung dieser Systeme nicht beschlossen. Ende des Jahres wird die Kommission einen neuen Gesetzesvorschlag vorlegen, in den auch die Erfahrungen der Testphase eingehen werden. Dann beraten der Rat der Europäischen Union sowie das EU Parlament erneut über die Einführung der «Smart Borders». Falls sie sich dafür entscheiden, werden in den nächsten fünf Jahren über 1800 Grenzübergänge auf das neue System umgerüstet. Auch die in der Schweiz.