Die Toskana südöstlich von Pisa. Zwischen Äckern und Feldern steht Carlo Bradaschia vor einer Halle, von der eine blaue Röhre abzweigt. Langsam lässt er den Zeigefinger in die Ferne schweifen, bis zu einem halbrunden Bau am Horizont. «Dort, in drei Kilometern Entfernung, hört die Anlage auf», erklärt der Physiker. Dann wendet er sich um neunzig Grad nach rechts, in Richtung Norden, und zeigt auf ein zweites Rohr – ebenfalls drei Kilometer lang und im selben Blauton lackiert.
Der riesige Winkel fungiert als Superpräzisions-Lineal: In beiden Röhren laufen Laserstrahlen hin und her, um sich in der zentralen Halle zu treffen. «Indem wir die Überlagerung der Laserstrahlen beobachten, messen wir winzigste Längenänderungen», sagt Bradaschia. «Änderungen von einem billiardstel Millimeter, viel weniger als der Durchmesser eines Atomkerns.»
Virgo, so heisst das Gerät, soll eine der skurrilsten Aussagen Einsteins bestätigen: Die Schwerkraft eilt als Welle durch Raum und Zeit.
Einsteins letzte Prophezeiung
Als Einstein 1915 die allgemeine Relativitätstheorie vorstellte, präsentierte er ein neues Bild der Gravitation. Demnach entsteht Schwerkraft dadurch, dass Masse den Raum durch ihre Anwesenheit krümmt. Geraten nun irgendwo im Weltall mächtige Massen in Wallung, sollte das regelrechte Dellen in die Raumzeit schlagen. Diese, so Einsteins Prophezeiung, rasen lichtschnell durch den Kosmos – und das müsste auch die kilometerlangen Laserlineale auf der Erde ein wenig stauchen und dehnen.
Nach diesen Gravitationswellen fahndet Virgo schon seit einem Jahrzehnt – ebenso wie Ligo, eine ähnliche Anlage in den USA. Bislang war die Suche vergebens. In keinem der Riesendetektoren hat sich auch nur der Hauch eines Signals gezeigt.
Doch nun nehmen die Fachleute einen neuen Anlauf. Sie haben die Anlagen in beiden Ländern aufgemotzt und die Messtechnik deutlich empfindlicher gemacht. «Das erhöht die Chancen auf eine Entdeckung drastisch», meint Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. «Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass diese neue Generation nichts misst.»
Die Entdeckung würde nicht nur Einstein bestätigen, sondern auch eine neue Art der Astronomie begründen: Gravitationswellen sollen unbekannte Details über kosmische Katastrophen verraten – zerberstende Riesensonnen, kollidierende Sterne und schwarze Löcher, die sich gegenseitig verschlingen.
Sternkollisionen im Visier
Seit September ist Ligo auf Empfang, Virgo in Italien soll Ende 2016 folgen. Es gab zwar Gerüchte, Ligo hätte bereits Indizien aufgespürt – doch das war wohl falscher Alarm. Denn allzu schnell dürfte der Durchbruch nicht zu erwarten sein. «Ich rechne vielleicht 2017 damit», meint Karsten Danzmann. «Etwas Geduld braucht man schon.»
Der Grund: Nur bei höchst energiereichen kosmischen Ereignissen dürften messbare Gravitationswellen entstehen – etwa als vor 14 Milliarden Jahren der Kosmos mit dem Urknall entstand. Heute sind es Sternkollisionen und Supernova-Explosionen, die ausreichend starke Gravitationswellen erzeugen sollten. Die aber passieren eher selten, und so heisst es erst mal Abwarten.
Schwerkraft-Teleskop im All
Sobald sich aber eine Welle zeigt, wollen die Forscher sie haarklein analysieren, um den Ablauf der kosmischen Katastrophen zu klären. So vermutet man, dass es schwarze Löcher gibt, die sich umkreisen und schliesslich aufeinander stürzen. Für gewöhnliche Teleskope wären sie unsichtbar, schliesslich geben schwarze Löcher kein Licht von sich. «Doch die beiden kollidierenden Löcher müssten Gravitationswellen aussenden», meint Jan Steinhoff vom Albert-Einstein-Institut in Potsdam. «Würden wir diese Signal auffangen, wäre bewiesen, dass solche Systeme existieren.»
Das wiederum könnte für die Entwicklung der Galaxien wichtig sein. So schlummert mit grosser Wahrhscheinlichkeit in der Milchstrasse ein riesiges schwarzes Loch, das die Geschicke unserer Galaxie massgeblich lenkt. Gravitationswellen könnten aufklären, ob das Schwerkraftmonster einst durch Kollisionen kleinerer Löcher entstanden war.
Die letzte Chance
Doch was, wenn die Lasersensoren doch nichts finden? Dann bliebe nur ein Gravitationswellendetektor im All. Auch den gibt es bereits: « eLisa » besteht aus drei Satelliten, die in einer Dreiecksformation hinter der Erde her fliegen und Laserstrahlen von einer Million Kilometern Länge zwischen sich hin und her schiessen sollen.
Die Technologie wird bald eine Testmission namens Lisa Pathfinder erproben, geplanter Start ist der 2. Dezember. eLisa dagegen soll erst 2034 abheben. Sollten die Instrumente am Boden bis dahin noch keine Gravitationswellen aufgespürt haben, dürfte die Satellitenmission die letzte Chance sein, Einsteins Theorie zu beweisen und neue Details über kosmische Extremereignisse zu sammeln – dann vielleicht sogar über den Urknall.