Man nehme: Cranberrys, Haferflocken, Cornflakes, Sonnenblumenkerne, geröstete Sesamkerne, gemahlene Haselnüsse, Honig, bitzli Zucker, bitzli Zimt, Milcheiweiss-Pulver und tierische Proteine – aus Mehlwürmern, vermahlen mit erhitztem Wasser, zentrifugiert und mehrfach filtriert. Bei 150 Grad schön knusprig backen, in Streifen schneiden, in Kuvertüre tunken und fertig ist der Insektenriegel.
Fein sieht er aus, der Prototyp von Stefan Klettenhammer, 27, und Meinrad Koch, 25, von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Auch viele Dozenten und Kommilitonen fanden den Riegel verlockend: Bei einer Umfrage erklärten mehr als 80 Prozent der 300 Teilnehmer, dass sie bereit wären, das Produkt zu kosten. Selbst unter jenen, die fleischlos essen, waren es über 60 Prozent.
Ungewohnte Geschmackserlebnisse
Bei Geschmackstests mit ausgebildeten Sensorikern und Laien blieb der grosse Beifall aber aus. Zwar schmeckte der Riegel mit Mehlwurm-Proteinen weder bitter oder sonstwie unangenehm. Doch die Teilnehmer registrierten einen markanten Unterschied zu einem baugleichen Riegel, der nur Milchprotein enthielt: ein wenig säuerlich.
Geschmackssache. Und Gewohnheitssache, denn Ingredienzen aus Insekten gibt es in hiesigen Backstuben gewöhnlich nicht. Bis heute ist der Verzehr von Maden, Würmern oder Asseln, die man online bestellen kann, bestenfalls ein Partygag. Doch das soll nicht so bleiben, fordert die Welternährungsorganisation der Uno (FAO): Insekten könnten gesunde Proteine und Nährstoffe liefern – noch dazu auf nachhaltige Art (siehe Infobox).
Insekten im Essen verstecken
Wenn nur nicht der Ekel wäre, der die meisten Menschen im Westen beim Gedanken befällt, in eine Made zu beissen. Genau da setzt der Wädenswiler Riegel an: Als feines Granulat, unkenntlich verbacken, soll das Mehlwurm-Eiweiss nicht den Appetit verderben. Warum gerade die Larven der Art Tenebrio molitor ? «Die Tiere lassen sich im grossen Massstab züchten. Das wäre für einen industriell produzierten Riegel wichtig», erklärt Stefan Klettenhammer, «und die Proteine sind hochwertig.»
Der Eiweiss-Anteil also. Um die Proteine zu extrahieren, entwarf der gelernte Biotechnologe ein schrittweises Verfahren: Die zermahlenen Tiere bilden mit warmem Wasser eine «Mehlwurm-Lösung», in der die Eiweisse stecken. Eine Zentrifuge trennt sie von Fetten und Feststoffen, wie dem Panzer des Chitins. Und nach Filtration und Gefriertrocknen bleibt nur ein unauffälliges, gelbliches Granulat.
Massenproduktion erst am Anfang
Für die Laborversuche verbrauchte Klettenhammer insgesamt rund 20 Kilogramm Mehlwürmer, beschafft von einem Schweizer Händler – für etwa 40 Franken pro Kilo. «Das ist im Moment das preisgünstigste Insekt in Europa», sagt er, «aber mit unseren Verfahren käme man am Ende wohl trotzdem auf Kosten von 50 Franken pro Kilo Insektenprotein.»
Nicht billig also. Günstiger würde es vielleicht in grossem Stil, doch der Markt für Insekten ist zurzeit noch winzig. Tatsächlich gibt es in Europa nur vereinzelt zertifizerte Firmen, die Insekten für den Verzehr durch Menschen produzieren.
Abscheu lässt sich verlernen
Einen dieser Züchter besuchten die Wädenswiler Lebensmitteltechnologen bei ihren Vorrecherchen in den Niederlanden – und sahen viele, viele Kisten, in denen die Tiere dank Haferflocken und Karotten wuchsen, bis eine Grossanlage die «schlachtreifen» Würmer maschinell aussiebte. Insektenzucht im Hightech-Betrieb.
«Verglichen damit», sagt Klettenhammer, «finde ich persönlich jede Schweinezucht ekliger.» Den Ekel vor dem Insekten-Essen, erzählt er, hat er ohnehin verloren, seit er sich damit intensiv befasst – wie auch sein Kompagnon Meinhard Koch, der als gelernter Bäcker und Konditor den zweiten Teil der Arbeit übernahm: den Schritt zum Riegel. Doch wieviel Wurm sollte hinein?
In der Backstube der ZHAW probierte Koch verschiedene Varianten aus: von 10 bis 35 Prozent Protein, mit unterschiedlichen Anteilen aus Milch und Mehlwurm. Im fertigen Knabberriegel stammen nun 13 Prozent von den Tieren und 10 Prozent aus Milch; macht also 23 Prozent insgesamt. Warum? Wenn mindestens ein Fünftel des gesamten Energiewerts auf die Proteine entfallen, könnte man auf die Packung schreiben: mit hohem Proteingehalt, so erklärt Koch, «die Zielgruppe sollen nämlich Sportler sein.»
Lebensmittelrecht als Hürde
Doch bis zur realen Vermarktung ist es noch ein weiter Weg. Koch und Klettenhammer haben den säuerlichen Geschmack des Riegels, dessen exakte Rezeptur sie nicht verraten, mit Eingriffen im Labor zwar schon entschärft und auch ein Hersteller interessiert sich für das Projekt – doch noch weiss niemand, ob das Verfahren auch in grossem Stil funkitionert. Ob es sich lohnt. Ob die Massenproduktion von Mehlwürmern eine konstante Qualität ergibt. Und ob die Tonnen-Produktion dann auch wirklich nachhaltig ist.
Es braucht noch viel Forschung, also Zeit – und davon hat es genug, denn das Schweizer Lebensmittelgesetz akzeptiert Insekten als Nahrungsmittel heute nicht. Auf eine Interpellation von Nationalrätin Isabelle Chevalley antwortete der Bundesrat im vergangenen Februar, dass der Nachweis für die gesundheitliche Unbedenklichkeit bis heute fehle. Andererseits: Im Rahmen der anstehenden Überarbeitung von Lebensmittel-Verordnungen, so die Pressestelle des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit, wird durchaus darüber nachgedacht, einzelne Arten für die Ernährung zuzulassen.
Insekten-Politik
Die Getreideriegel-Tüftler aus Wädenswil glauben ohnehin, dass das Beispiel Belgien auch in der Schweiz Schule machen wird. Dort werden Insekten-Menüs immer beliebter – und seit Anfang 2014 sind zehn Arten als Lebensmittel zugelassen, darunter das Heimchen, die Kleine Wachsmotte, die Afrikanische Wanderheuschrecke und auch der Mehlwurm. «Es ist nicht die Frage, ob das auch bei uns so kommt», sagt Meinrad Koch, «die Frage ist: wann?»