Im heutigen Unterricht werden viele Lehr- und Lernformen angewendet. Der Frontalunterricht mit dozierendem Lehrer und Schülerinnen und Schüler, die still und brav zuhören, hat vielerorts offenen Unterrichtsformen Platz gemacht. Der Nachwuchs soll zuerst eigene Fragen stellen und selbst nach Lösungswegen für ein Problem suchen.
Forschendes Lernen: So lautet das Stichwort. Denn Kinder sind von Natur aus neugierig und die meisten von ihnen gehen den Dingen gerne auf den Grund. Nur – lernen sie auch besser, wenn sie forschend lernen? Das untersucht derzeit Fachmann Ralph Schumacher von der ETH Zürich mit einer mehrjährigen Längsschnittstudie (siehe Infobox rechts).
Ein Teil der Schüler erhält im Rahmen der Untersuchung in der Primarschule naturwissenschaftlichen «Forschungsunterricht». Deren Testwerte vergleicht Schumacher mit Schulklassen, die keine solchen Experimente gemacht haben. Erste Zwischenresultate der Langzeitstudie liegen nun vor.
Physikerfolge bei Mädchen
Auffallend ist: Besonders Mädchen profitieren von forschendem Unterricht. «Die Mädchen sind sonst laut anderen Untersuchungen an Physik eher uninteressiert und schneiden in Tests tendenziell schwächer ab», sagt Schumacher, «bei unserer Studie haben in jenen Klassen mit forschendem Lernen Knaben und Mädchen gleich profitiert.»
Bei jenen Klassen, die forschend lernten, zeigten Mädchen in den Nachtests also gleich gute Resultate wie Knaben. Dass Jungen und Mädchen im gleichen Mass vom Physikunterricht profitieren, ist normalerweise nicht der Fall. «In der Sekundarstufe I und II gibt es viele Schülerinnen, die in anderen Fächern tolle Noten haben», erklärt der Forscher, «aber in Physik schlechte Noten.»
Warum genau Mädchen der Unterricht mit Forschung stärker nützt, weiss man noch nicht. Dass der positive Effekt des forschenden Lernens allein auf das Experimentieren zurückzuführen sei, glaubt Schumacher aber nicht: «Es geht darum, dass man es schafft, an das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler anzuschliessen», sagt er, «der Punkt ist, dass man nicht mit einem Thema einsteigt und sagt ‹Heute machen wir das Thema Druck›, sondern dass man in ein Thema über eine Fragestellung einsteigt, die anregt.»
Forschend lernen – gut für Mathe
Unabhängig vom Geschlecht stellt Schumacher zudem fest: Naturwissenschaftliches Experimentieren im Unterricht an der Primarschule wirkt sich auch in anderen Fächern positiv aus. «Transfer-Effekt» nennt der Fachmann das. So zeigten die Schülerinnen nach physikalischen Experimenten zu Dichte und Auftrieb auch in der Mathematik eine bessere Leistung: etwa beim Thema Proportionalität, wo es, ähnlich den vorausgegangenen Versuchen, um das Verhältnis zweier veränderlicher Grössen ging.
Konkrete Frage, nur eine Variable
Doch Kinder einfach mal experimentieren lassen und alles wird gut – so einfach ist die Welt nicht. Für den Lernerfolg braucht es laut Schumacher klare Strukturen und Regeln. Am Anfang steht jeweils eine konkrete Fragestellung. Und die Schüler müssen darauf achten, im Experiment jeweils nur eine Variable, einen einzelnen Faktor zu ändern. Nur so ist es ein brauchbares Experiment, das auch zu neuen Erkenntnissen führt.
Ein Beispiel erklärt der Forscher im diesem Video:
Werden Schülerinnen und Schüler, die in der Primarschule regelmässig experimentieren, dereinst eher einen naturwissenschaftlichen Beruf wählen? Das schliesst der ETH-Forscher zwar nicht aus – doch es geht ihm nicht darum, mehr Naturwissenschaftler oder Ingenieure zu produzieren. «Das wäre vielleicht ein Nebeneffekt», sagt Schumacher, «primär geht es darum, die naturwissenschaftliche Allgemeinbildung zu verbessern.»