Ausgerechnet die Kuh, das älteste Nutztier des Menschen, dient als Beispiel, wenn der homo sapiens seine Artgenossen herabsetzt: «Dumme Kuh!» tönt es über den Pausenplatz. «Dumme Kuh!» denkt der Chef von der Sekretärin. Gemeint ist: «Du hast keinen blassen Dunst!» Zumindest die Kuh hat das nicht verdient.
So hat sie in ihrer jahrtausendealten Entwicklungsgeschichte eine komplexe Körpersprache entwickelt, mit der sie sich in jeder Herde verständigen kann. Und ebenfalls seit Jahrtausenden schenkt sie dem Menschen ihre Milch. Doch gerade das könnte der Grund für die «dumme Kuh» sein: In der menschlichen Wahrnehmung hat sie sich ihm unterworfen. Doch Verhaltensforscher deuten das anders: Die Kuh kommt mit zwei Welten klar: Die eine heisst Mensch. Ihm muss sie zeigen können, was ihr fehlt. So heisst ein ungeduldiges «Muh!»: «Melken bitte!»
Als Herdentier hingegen ist sie auf Artgenossinnen angewiesen. Ständig wird in der Herde kontrolliert, ob die Rangordnung stimmt. Gleichzeitig zeigen Kühe Gefühle: Eine brüske Kopfbewegung heisst «lass‘ mich in Ruhe!» Eine Genossin am Hals lecken – ein Freundschaftsantrag. Und doch bleibt jede wachsam, bewegt die Ohren, lotet aus, was in der Herde passiert und ob ihr Platz gefährdet ist.
Wenn ein Wesen alles kann, was seine Umwelt erfordert, dann ist es in der Alltagssprache «klug». Verhaltensforscher wollen menschliche Attribute nicht auf Tiere übertragen. Sie sprechen von der «perfekten Anpassung an eine komplexe Umwelt» und nicht von der «klugen Kuh». Verdient hätte sie es aber.