«And the Winner is…» wird es am 22. Februar im Dolby Theater in Hollywood nicht heissen. Vor 25 Jahren änderte die Academy den Gewinner-Ausruf auf «And the Oscar goes to…». Offensichtlich aus Fairness-Gründen. Denn jeder, der im legendären Auditorium Platz nehmen darf, ist schliesslich ein Gewinner.
Bestimmt können Sie jetzt – gleich so aus dem Stegreif – die vier Damen nennen, die letztes Jahr Cate Blanchett als Beste Hauptdarstellerin unterlagen. Wohl eher kaum.
Deshalb verzeihen Sie mir die kleine politische Unkorrektheit und erlauben Sie mir im Folgenden stets von «Gewinnern» und nicht von «Denjenigen-an-die-der-Oscar-geht» zu sprechen.
Beste Hauptdarstellerin: Jetzt aber die Moore
Eigentlich eine klare Sache ist der Oscar für die Beste Hauptdarstellerin – hoffe ich, insbesondere weil ich auch für ausgeglichene Gerechtigkeit plädiere. In diesem Fall für einen (längst überfälligen) Triumph von Julianne Moore.
Vier Mal ging die Schauspielerin bisher an den Oscars leer aus – seit Jahrzehnten überzeugt sie mit einwandfreien Leistungen. Mit dem Familiendrama «Still Alice» zeigt Moore als eine an Alzheimer erkrankte Mutter eine weitere Bravour-Leistung. Die fünfte Oscarnominierung bringt ihr den lang erhofften Gewinn. Marion Cottillard («Deux jours, deux nuits») und Reese Witherspoon («Wild») haben schon einen Oscar, die Nesthäkchen Felicity Jones («The Theory of Everything») und Rosamund Pike («Gone Girl») haben noch alle Zeit der Welt.
Bester Hauptdarsteller: (fast) eine Pattsituation
Spannender sieht die Ausgangslage bei den Männern aus. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Michael Keaton und Eddie Redmayne. Beide buhlen übrigens erstmals um einen Oscar. Alt-Star Keaton gibt in «Birdman» ein fulminantes Comeback als paranoider Schauspieler, Redmayne ist als schwerstbehinderter Top-Wissenschaftler Stephen Hawkin eine Wucht.
Die Academy liebt wahre Helden – grossartige Comebacks jedoch noch etwas mehr. Daher glaube ich an einen knappen Sieg für Keaton. Eddie Redmayne attestiere ich eine vielversprechende Zukunft und einen Oscar in den nächsten zehn Jahren.
Pechvogel ist einmal mehr Bradley Cooper, der zum dritten Mal hintereinander (nach 2013 und 2014) als bester Hauptdarsteller leer ausgehen wird. Nun, Schauspielgigant Al Pacino wiederfuhr vor 40 Jahren exakt das Gleiche. Von 1973 bis 1976 wurde der «Pate»-Star viermal hintereinander übergangen – und brauchte vier weitere Anläufe, bis er 1993 für «Scent of a Woman» endlich zu Oscarehren kam.
Beste Nebendarsteller: ganz klare Sache
Patricia Arquette für «Boyhood» und J.K. Simmons für «Whiplash» sind in dieser Kategorie gesetzt. Definitiv und hochverdient. Da lege ich mein Wetthändchen ins Feuer. Sie haben beide je über 90 Prozent aller Preise der laufenden Saison gewonnen. Alles andere würde einem kleinen Skandal gleichkommen. Da kann sogar eine Meryl Streep – zum 19. Mal nominiert – nichts ausrichten.
Die Schweizer: durchaus Siegeschancen
Was haben wir gehofft, dass das Schwulendrama «Der Kreis» als Bester Fremdsprachiger Film den Sprung schafft. Es hat nicht sollen sein. Trübsal bläst unsereins trotzdem nicht. Im Gegenteil.
Simon Otto, Chefanimator des oscarnominierten Streifens «Drachenzähmen leicht gemacht 2», steht wegen der überraschenden Nicht-Nominierung des «Lego»-Films nun gar in der Poleposition. Wir drücken die Klauen.
Viel überraschender ist in der Kurzfilm-Sparte die Berücksichtigung von «Parnaveh» der Schweizer Stefan Eichenberger und Talkhon Hamzavi. Der Produzent und die Regisseurin haben mit ihrem Flüchtlingsdrama über eine 17-jährige Migrantin aus Afghanistan letztes Jahr bereits einen Studenten-Oscar gewonnen. «Parvaneh» ist der Abschlussfilm der iranisch-schweizerischen Filmemacherin. Mit der Gefahr mich etwas weit aus dem Fenster zu lehnen, sage ich: Sie doppelt am Sonntag nach. Weshalb? Erstens: Weil die Schweiz letztmals vor 25 Jahren einen Oscar gewann und – zweitens – dies ebenfalls mit einem Flüchtlingsdrama.
Bester Film, Beste Regie: Ein heranwachsender Junge schlägt alle
Es war ein lauer Frühsommerabend, als ich einen kleinen, auf den ersten Blick unspektakulären Film über einen heranwachsenden Jungen schauen ging und knapp drei Stunden später mit feuchten Augen aus dem Kino lief und dachte: «Der gewinnt den Oscar!». Und ich hatte «Boyhood» vor allen anderen oscarnominierten Filmen gesehen.
Der Film erzählt die Geschichte eines heranwachsenden Jungen und seiner alltäglichen Sorgen mit den Eltern, der Schule, der Liebe. Eigentlich nichts Besonderes: Namhafte Stars fehlen, Special Effects gibt es auch keine. Spektakulär und gleichzeitig bestechend simpel ist jedoch die Umsetzung: Zwölf Jahre lang, an vier Tagen pro Jahr, wurde gedreht. Die Schauspieler altern in echt. Authentischer kann ein Film nicht sein.
Mein Bauchgefühl sollte (bis heute zumindest) Recht behalten. «Boyhood» hat bis eine Woche vor der Oscarverleihung 141 Filmpreise abgeräumt und wurde weitere 120 Mal nominiert – knapp vor «Birdman», der eine Quote von 139/171 aufweist. Ausschlaggebender Unterschied: «Boyhood» entschied die bisher wichtigsten Preise für sich. «Golden Globe», «Bafta», «Broadcast Film Critics Association» sowie die prestigeträchtigsten Kritikerpreise von New York, Los Angeles, Chicago und San Francisco.
Letzten Oktober, beim Interview mit Diane Keaton am «Zurich Film Festival», schwärmte mir die Oscarpreisträgerin – ungefragt – von «Boyhood» vor. Sie wird nicht das einzige Academy-Mitglied sein, das dem Coming-of-age-Drama seine Stimme gegeben hat. Die Originalität, der Mut und die Risikobereitschaft von Regisseur Richard Linklater wird gleich doppelt belohnt: Bester Film und beste Regie geht an «Boyhood».
Bestes Kleid, beste Haare, bester Body: das Rennen ist eröffnet
Wem jetzt die Oscarfavoriten zu wenig namhaft oder glamourös sind: Mir gehts genau so. Nun, für Abhilfe ist gesorgt. Wer nämlich nicht für einen Oscar nominiert ist, darf einen vergeben. Und da haben die Showverantwortlichen ganz Ansprechendes aufgeboten: Seien es Sexbomben (Scarlett Johansson, Jennifer Lopez), Oscarpreisträger (Cate Blanchett, Matthew McConaughey, Nicole Kidman) oder Altstars (Shirley McLaine, Eddie Murphy). Sie alle bringen den nötigen und quotensteigernden Glamour mit.
Freuen darf man sich auch auf die Herren Dukan, Atkins und Pasternak. Wie? Sie kennen diese Namen nicht? Nun, das sind nicht etwa Pseudonyme von Pitt, Depp und Pattinson – sondern Diät-Erfinder, die in Hollywood seit Jahren und gerade zur Oscarzeit ganz «dick» im Geschäft sind.
Die Filmdiven wetteifern um die beste Figur, die sie am Sonntagabend auf dem roten Teppich präsentieren werden. Und da ist ihnen jedes Mittel recht: Fettarm, kohlenhydratfrei, proteinreich ist nur die Basis. Doch jede und jeder weiss um einen besonderen Trick um den anderen ein Grämmchen-Schnäppchen zu schlagen: Kokosnussöl schlürfen (Miranda Kerr), Zitronensaft nach dem Aufstehen (Jennifer Aniston), gepfeffertes Wasser frühmorgens (Beyoncé), Sauerkrautsuppe (Heidi Klum) oder Salzbäder (Demi Moore). Der Kalorienverbrauch wird von 2000 auf 1300 pro Tag runtergesetzt und mit Yoga, Pilates und Muskeltraining der Körper straff geformt.
Das gilt natürlich auch für die Herren. Die Fettpölsterchen unter dem Körperbetonten Tuxedo kaschieren ist keine Option. Dass der massgeschneiderte Anzug auch bei George Clooney nicht spannt, dafür sorgt Ehegattin Amal, die ihren Filmbeau zu einer Abspeckkur von sieben Kilo verdonnert hat, wie in Hollywood gemunkelt wird.
Schliesslich ist das stramme Goldmännchen nicht nur Ziel der Begierde – sondern auch Vorbild. Damit auch alle – inklusive die tapfer lächelnden Verlierer – strahlend schön aussehen, wenn es im Dolby Theater heisst: «And the Oscar goes to…».