Schwingen ist heute so populär wie noch nie. Dennoch hat sich der Schweizer Traditionssport in seinen Grundsätzen seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert, die Schwingkultur gilt als bodenständig und bescheiden. Mit dem Jubiläumsschwingfest in Appenzell feiert der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) am 8. September sein 125-jähriges Bestehen. SRF überträgt ab 7.20 Uhr alle Gänge live auf SRF 1.
Ebenfalls ein Jubiläum feiert Stefan Hofmänner (57): 1999 beginnt er, den Schwingsport für SRF als TV-Kommentator zu begleiten. In 25 Jahren kommentiert er über 40 Schwingfeste. Ein Jahr zuvor gewinnt der Toggenburger Jörg Abderhalden (45) seine ersten beiden Kranzfeste und den ersten seiner drei Schwingerkönig-Titel. Inzwischen ist er bei der TV-Übertragung von Schwingfesten als SRF-Experte im Einsatz. Im Gespräch mit «HalloSRF!» blicken die beiden zurück sowie nach vorn.
Gibt es einen Schlüsselmoment, der aus eurer Sicht die TV-Berichterstattung über das Schwingen revolutioniert hat?
Jörg Abderhalden: Ein Meilenstein war 2004 die erste vollständige Übertragung des zweitägigen Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests (ESAF) in Luzern durch das damalige Schweizer Fernsehen. Zuvor wurde dieses nur ausschnittsweise live gezeigt. Über andere Schwingfeste gab es lediglich zusammenfassende Berichte. Die Übertragung 2004 spielte daher in einer völlig neuen Liga.
Stefan Hofmänner: Die Idee einer ganztägigen Übertragung widersprach komplett der damaligen und noch heute geltenden Medienlehre, nach der Inhalte kürzer und kompakter sein sollten. Zudem war Schwingen damals noch nicht überall in der Deutschschweiz so in Mode wie heute. Unser damaliger Produzent Ignaz Derungs und unser Regisseur Beni Giger waren aber überzeugt, dass Schwingen als Urschweizer Tradition ein attraktives Angebot für unser Publikum darstellen kann.
Gibt es rückblickend einen Zusammenhang zwischen diesem Entscheid des damaligen Schweizer Fernsehens und der steigenden Beliebtheit des Schwingsports in den letzten Jahrzehnten?
Jörg Abderhalden: Ich glaube schon, dass das Fernsehen stark dazu beigetragen hat, dass das Schwingen in den urbaneren Gegenden stärker wahrgenommen wird. Je mehr die Medien über Schwingen berichteten, umso stärker rückten Sport und ausgewählte Sportler in den öffentlichen Fokus. Dabei half aber auch der Mythos rund um den Schwingerkönig stark mit: Kann der Bestehende nachdoppeln oder wird er geschlagen?
Stefan Hofmänner: Natürlich fiel die ganze Entwicklung auch in die Zeit der aufkommenden Globalisierung, während der sich die Menschen gerne an Vertrautem und Heimischem orientierten, weil das Sicherheit gab. Und dass – vor allem auch durch den grossen Einsatz von Jörg Abderhalden – in den 2000er-Jahren die Türen aufgegangen sind für die Vermarktung der Schwinger und für namhafte Sponsoren, hat die Popularität des Schwingsports nochmals gesteigert.
Jörg, wie hast du diesen Wandel damals als aktiver Sportler erlebt?
Jörg Abderhalden: Die sportlichen Anforderungen haben sich nicht wirklich verändert. Aber in Bezug auf die Popularität der Schwinger war der Wandel gewaltig. Als 1998 an den Sports Awards ein Einspieler zum Schwingen gezeigt wurde, fragte jemand im Saal: «Was machen denn die Schwinger da?» Zehn Jahre später wurde ich an den Swiss Awards zum Schweizer des Jahres gewählt. Das wurde dann nicht mehr hinterfragt. Und als ich vor 26 Jahren zum ersten Mal Schwingerkönig wurde, benötigte ich nur einen wasserfesten Filzstift für Autogramme. Heute braucht man neben sportlicher Leistung eine eigene Homepage, einen Social-Media-Auftritt und genügend Zeit, um alles zu pflegen.
Stefan Hofmänner: Wobei ich schon der Meinung bin, dass die Schwinger auch heute keine Medienschulung benötigen. Sie sollen einfach sie selbst sein. Denn gerade diese Authentizität macht unter anderem den Reiz des Schwingsports aus.
Wie wirkten sich diese Entwicklungen auf die Gestaltung des Zuschauererlebnisses aus?
Stefan Hofmänner: Je mehr Schwingen SRF übertrug, umso mehr Zeit konnte ich investieren, um Hintergrundinformationen und Statistiken zu sammeln. Dadurch ist es uns Kommentatoren möglich, das Publikum mit einem Spannungsbogen durch den ganzen Tag zu begleiten – oder auch einfach durch einen Kampf. So erzählten wir dieses Jahr den Zuschauenden morgens am Schwägalp-Schwinget, dass Schwinger Orlik Curdin noch keinen Schwägalp-Kranz hat. Wenn er an dem Tag nicht siegreich sein würde, dann böte sich in zwei Jahren die nächste Chance. Was, wenn er dann verletzt wäre und danach mit bald 35 sein Karriereende naht? Durch all diese Informationen versteht das Publikum, was dieser Wettkampf für Orlik bedeutet. Dann bibbert es den ganzen Tag lang mit ihm mit.
Was denkt ihr: Wie wird es in 25 Jahren am nächsten Jubiläumsschwingfest aussehen?
Jörg Abderhalden: Es ist doch der Kampf Mann gegen Mann, der das Publikum begeistert. Wo gibt es das noch, dass man sich so ehrlich und geradlinig gegenübersteht wie beim Schwingen? Ich hoffe, das bleibt erhalten. Vielleicht geht das mediale Interesse wieder etwas zurück. Heute können Schwingfans dank SRF und den Privatsendern immerhin rund 30 Schwingfeste pro Jahr am TV schauen.
Stefan Hofmänner: Ich denke nicht, dass sich Grundsätzliches verändern wird. Natürlich soll man weiterhin Gewohntes hinterfragen und neue Ideen prüfen, wie dies bei der VAR-Frage oder der Einführung von zwei verschiedenfarbigen Zwilchhosen auch gemacht wurde. Aber die Grundzüge der Schwingkultur werden meiner Meinung nach auch die nächsten 25 Jahre überdauern.