60 Jahre – das ist ein stolzes Alter für eine Radiosendung. Was ist das Erfolgsrezept?
Eva Oertle: «Musik für einen Gast» ist ein sehr authentisches Radioformat: ein Gespräch zwischen zwei Menschen, das sich dadurch auszeichnet, dass wir jemanden über seine Musik kennenlernen. Dabei hilft, dass kaum etwas so emotional ist wie Musik. Man lernt eine Person viel tiefer kennen, als es rein mit Worten möglich wäre. Daher ist unsere Sendung für alle Menschen interessant, die sich für Kultur im weitesten Sinne interessieren und einfach gerne spannende Menschen kennenlernen.
Was hat sich in den sechs Jahrzehnten verändert, was ist gleichgeblieben?
Gleichgeblieben ist der Grundaufbau: ein Gespräch mit einem Gast, der Musik mitbringt. Das Format lebt natürlich auch stark von der Moderation. Am Anfang war das Roswitha Schmalenbach – sie hat die Sendung lange alleine geprägt. Später gab es mehrere Moderatorinnen und Moderatoren. Die Gästeauswahl ist heute bunter, der Tonfall lockerer. Wir öffnen uns bewusst für alle, die Spannendes zu erzählen haben. Das gilt auch für die Musik: Bei uns hat alles Platz, solange es eine Geschichte dazu gibt. Die Musik ist ein zentrales Thema und nicht nur ein Trennelement im Gespräch. Auch die Hörgewohnheiten des Publikums haben sich in den sechs Jahrzehnten verändert. Eine flexible Verfügbarkeit der Inhalte ist gefragt – daher kann unsere Sendung auch online als Podcast angehört werden. Zudem muss man heute die Menschen direkt am Anfang mit etwas Spannendem packen und das Gesprächstempo etwas dichter halten.
Sehr berührt hat mich der Wunsch nach einem Wiegenlied.
Wie entsteht eigentlich eine «Musik für einen Gast»-Sendung?
Am wichtigsten ist uns als Team – das sind Irene Grüter, Simon Leu, Michael Luisier, Melanie Pfändler und ich – ein spannender Lebenslauf und natürlich ein Bezug zur Musik. Als Fachverantwortliche der Sendung lege ich zudem Wert darauf, dass wir einen möglichst ausgeglichenen Gäste-Mix haben – etwa hinsichtlich Beruf, Herkunft oder Geschlecht. Realisieren tut jede und jeder die Sendung dann ganz allein. Meist übernimmt die Person, die die Gästeidee einbringt, auch die entsprechende Sendung. Wir führen zunächst ein Vorgespräch mit den potenziellen Gästen, um herauszufinden, ob sie geeignet sind. Die Menschen senden ihre Musikstücke, wir recherchieren und überlegen uns Fragen. Auch den Schnitt der Sendung nehmen wir selbst vor.
Du hast in den letzten 14 Jahren genau 100 «Musik für einen Gast»-Sendungen moderiert. Welcher Musikwunsch hat dich in dieser Zeit am meisten berührt?
Dass Musik oft mit sehr starken Emotionen verbunden ist, spürt man immer wieder in unserer Sendung. Sehr berührt hat mich der Wunsch nach einem Wiegenlied. Er kam von einem palästinensisch-libanesischen Naturheilpraktiker, der im Krieg grossgeworden ist. Immer wenn Flugzeuge vorbeiflogen oder Bomben fielen, sang seine Mutter das Lied für ihn besonders laut, um ihm die Angst zu nehmen.
Welche Musik würdest du selbst als Gast in eure Sendung mitbringen?
Definitiv dabei wäre der langsame Satz aus dem Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur von Mozart. Dieses Stück habe ich während meines Musikstudiums oft angehört, denn es berührt etwas tief in meiner Seele. Wenn ich im Prüfungsstress war und mich gefragt habe, weshalb ich mir das Ganze überhaupt antue, hat mir dieser Satz wieder die Antwort darauf geliefert.
Was wünschst du dir für die Zukunft von «Musik für einen Gast»?
Dass die Sendung noch lange weiterlebt, sich weiterentwickeln kann und möglichst viele Menschen erreicht. Dazu gehört natürlich auch, dass wir verstärkt das On-Demand-Publikum für uns gewinnen.
Den 60. Geburtstag feiert «Musik für einen Gast» mit einer ganz besonderen Sendung, die auch im Fernsehen ausgestrahlt wird. Eva Oertle unterhält sich mit Franz Hohler, Schriftsteller, Musiker und Kabarettist. Die Geburtstagssendung wird am Sonntag, 28. April 2024, um 12.35 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur und im TV um 15.35 Uhr auf SRF 1 ausgestrahlt. Im Anschluss kann sie auf Play SRF sowie auf srf.ch/audio abgerufen werden.