Leon Morsons Job ist so neu, dass er noch nicht existierte, als sich der heute 21-Jährige mit seiner Berufswahl beschäftigte. Morson arbeitet als Host beim TikTok-Kanal von SRF News.
Vor der Kamera erklärt er die Entwicklung der Zürcher Drogenszene, warum manche Menschen eher Mücken anziehen als andere, interviewt Parteipräsidentinnen und -präsidenten und fragt Leute auf der Strasse, was sie «happy» macht. Der Luzerner tritt so auf, als würde er mit Kolleginnen am Küchentisch diskutieren: direkt und humorvoll. Er trägt Trainerjäckli, Jeans, Sneakers und markante Halsketten. Sein Dialekt ist gespickt mit Anglizismen, die ausserhalb des Wortschatzes von Leuten fern der frühen Zwanziger liegen.
Seit Dezember 2021 betreibt SRF News einen Kanal auf TikTok. Leon Morson ist seit dem Start dabei. Ein Freund schickte ihm auf Instagram ein Video, in dem der damalige «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin die Lancierung des Kanals ankündigte und Hosts suchte, also Moderatorinnen oder Gastgeber. «Ich dachte: Klingt geil, da bewerbe ich mich», erinnert sich Morson. Anstatt ein klassisches Motivationsschreiben zu verfassen, drehte er ein Video, in dem er daheim auf dem Sofa sitzt und sich vorstellt, inklusive Hobbys. Dazu schnitt er Clips hinein, in denen er Basketball spielt, Skateboard fährt und vor einem Kleiderhaufen steht. Seine Persönlichkeit überzeugte SRF, Morson erhielt die Stelle. «So bin ich ein halbes Jahr nach Abschluss der Kanti in den SRF-Kuchen reingerutscht.»
Geplant war das nicht: Nur nicht studieren, sondern «etwas Praktisches» machen – das war das Einzige, was er nach der Matura über seine Zukunft wusste. Es folgte ein Praktikum bei Radio 3FACH in Luzern. Dort lernte er, der sich über YouTube das Filmen selbst beigebracht hat, mit professionellen Programmen Videos zu schneiden. Eine Fähigkeit, die er auch als Host bei SRF benötigt.
Menschen aus älteren Generationen fragen mich oft, wie ich es schaffe, News in so kurzer Zeit zu vermitteln.
Das SRF-TikTok-Team besteht aus vier Personen, die in kleinen Teilzeitpensen den Account betreiben: zwei Hosts, ein Produzent und eine Redaktorin. Alle machen alles, nur die Auftritte vor der Kamera sind den Hosts vorbehalten. Oft recherchiert und schneidet Leon Morson seine Videos selbst. Bevor sie publiziert werden, müssen sie zwei interne Prüfrunden überstehen. «Infotainment» nennt Leon Morson seinen Ansatz, eine Mischung aus Information und Unterhaltung. «Ich möchte es schaffen, dass die Person, die meine Videos schaut, sich für das Thema interessiert. Fühlt sie sich unterhalten, bleibt sie länger dran.» Manchmal sei das eine feine Linie. Bei ernsten Themen wie dem Nahostkonflikt stehe klar der Infogehalt im Fokus, während der Mate-Getränk-Boom mehr Humor vertrage. «Meistens entscheide ich nach Gefühl.»
Entscheidend dafür, dass die Videos ein Publikum finden, sei auch die Dauer: Nicht länger als 30 Sekunden sollten sie sein. «Menschen aus älteren Generationen fragen mich oft, wie ich es schaffe, News in so kurzer Zeit zu vermitteln. Für mich ist das normal, ich bin mit diesen Formaten aufgewachsen.» Morson glaubt, dass so kurze Nachrichtenvideos immer beliebter und relevanter werden. Und mit ihnen Leute wie er, die Hosts. Irgendwo zwischen Journalistinnen und Moderatoren sieht er diesen Beruf angesiedelt. Moderatorinnen träten im klassischen Radio und Fernsehen auf, nicht aber in Social Media. Und Journalisten übernähmen mehr Hintergrundarbeit, etwa vertiefte Recherchen. Doch auch Morson muss für seinen Job das Weltgeschehen mitverfolgen. Eine Tätigkeit, die neu ist für ihn. «Ich musste mir erst den Skill aneignen, Online-Artikel zu lesen.» Wann immer möglich, informiert er sich lieber über Videoformate. Wichtig findet Leon Morson, dass ein Host authentisch auftritt. «Wäre ich nicht ich selbst vor der Kamera, würde mir niemand abkaufen, was ich erzähle.» Ihm falle es leicht, unverkrampft vor der Kamera zu sprechen.
Ich bin sehr extrovertiert und scheue nicht davor zurück, auf Leute zuzugehen. Bereits in der Schule war ich der, der mit allen geredet hat.
Obwohl er noch jung ist und keine Fachausbildung mitbringt, fühlt er sich in der SRF-Redaktion meistens ernst genommen. «Manche belächeln mich glaub. Aber viele bewundern mich, weil ich so entspannt vor der Kamera stehe.» Und gerade die älteren Mitarbeitenden würden sich für seine Gedanken interessieren, da er wisse, was Menschen seiner Generation bewegt. Seit zwei Jahren arbeitet Morson als TikTok-Host. Sein Wunsch nach Veränderung wächst, weil seine Aufgaben «eher repetitiv» seien. Er hat sich darum auf eine interne Stellenausschreibung beworben und arbeitet seit Januar 2024 zusätzlich als Host für die Instagram-Kanäle von SRF.
Ein TikTok-Host unterscheide sich zwar nicht von einem Instagram-Host, weil die Algorithmen beider Plattformen die gleiche Art von Videos favorisierten und SRF die Host-Videos meistens auf allen Social-Media-Plattformen ausspiele. In der Tendenz würden die Plattformen immer ähnlicher, so Morson. «Aber noch nehme ich Instagram als ein bisschen seriöser und tiefgründiger wahr.»
Dieser Text ist erstmals in der Ausgabe 5/2023 des Magazins «Link» der SRG Deutschschweiz erschienen. Autorin: Flavia von Gunten