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Teil 1: «Tagebuch 1946-1949» von Max Frisch
Aus Lesung vom 05.11.2020. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 24 Minuten 29 Sekunden.

Hörspiel Max Frisch – zwischen Trümmern und Neubauten

1945: der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Europa liegt in Trümmern, und schon zieht der Kalte Krieg auf. Mittendrin: die neutrale Schweiz – und Max Frisch, der sich zu einem grossen Schriftsteller entwickelt. Und all das beobachtet, und reflektiert: In seinem «Tagebuch 1946–1949».

Reise durch Trümmerlandschaften ...

1946 reist Max Frisch durch Deutschland. Er spricht mit Überlebenden des Holocaust, mit amerikanischen Offizieren, mit Leuten auf der Strasse. Und versucht die Zerstörung zu fassen:

Das Dach ist ein schwarzes Gerippe. Und auch hier sieht man wieder auf der andern Seite hinaus: Kamine sind stehengeblieben, eine Badwanne ganz in der Höhe, eine Wand mit verblaßten Tapeten, dazu die schwarzen Ornamente von Brand, die Zungen von Ruß, die Fenster voll Ferne und ziehendem Gewölk, voll Frühling. Oft blickt man von einer Straße in die andere hinüber, wenn auch durch ein Netz von rotem Rost; Reste einer niederhängenden Decke.
Autor: Max Frisch «Tagebuch 1946-1949»

... und Besuche auf der Baustelle

Und zuhause, in Zürich? Da besucht Max Frisch eine Baustelle. Und nicht irgendeine, sondern seine Baustelle: Vom Freibad Letzigraben, das nach seinen Entwürfen gebaut wird. Denn Frisch war 1946 nicht nur am Anfang seiner Laufbahn als Schriftsteller, sondern auch ein diplomierter Architekt. Und während rundherum in Europa noch die Trümmer aufgeräumt werden, wird in Zürich eine neues Schwimmbad gebaut:

Muster für Glas, Muster für Verputz, Muster für Aschenbecher, Muster für Beschläge, Muster für Lasur, alles wartet auf Entscheidung, und längst Entschiedenes trifft täglich ein, heute die Schlosserarbeit, das Geländer für den Pavillon, alles ist greifbar, so, wie du es entworfen hast, unbarmherzig, ob es dir nun gefällt oder nicht; es ist da, und die beste Idee verändert es nicht mehr. Wie leicht es ist, das Fertige zu beurteilen! Selbst wo es dir gefällt, hat es etwas Befremdendes, fast Erschreckendes; alles wird eisern und steinern, endgültig, es gibt nichts mehr zu wollen. Oft auch ein Gefühl von Befreiung! Die ursprüngliche Vorstellung, in jahrelanger Arbeit oft vergessen, kommt da und dort wieder zum Vorschein. Das aufregende Gefühl: Das ist dein Werk, von außen gesehen, dein Gesicht!
Autor: Max Frisch «Tagebuch 1946-1949»

Die Lesung

Genau das ist das Spannungsfeld, das Frischs «Tagebuch 1946-1949» ausmacht: Zwischen Weltgeschichte und Individuum, zwischen Aufräumen und Aufbruch. Frisch beschreibt die Zeitgeschichte, die Gegenwart und die Zukunft Europas – und zwar vor Ort: In den Trümmern von Frankfurt; im ehemaligen KZ Theresienstadt; im geteilten Berlin; im kommunistischen Prag; und in der Heimat, in Zürich. Aber Frisch versucht auch, seinen eigenen Weg zu be-, nein zu erschreiben: Im Architekturbüro, und auf der Theaterbühne. Im Gespräch mit Bauherren, und mit Vorbildern wie Bertolt Brecht.

SRF hat nun ein neues Hörbuch produziert. Der Schauspieler Michael von Burg liest Texte aus dem «Tagebuch 1946-1949». Damit diese literarische Stimme, die so klar aus der Nachkriegszeit, aus dem brüchigen Frieden berichtet, auch im digitalen Zeitalter zu hören ist.

Alle fünf Teile des Hörbuchs können Sie hier hören:

Diese und mehr Lesungen finden Sie übrigens auch im neuen Podcast «Lesung»:

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