Vor 3 Jahren hat der Schweizer Regisseur Thom Luz zum ersten Mal fürs Radio gearbeitet. Sein Hörstück «Atlas der abgelegenen Inseln» war ein internationaler Erfolg. Jetzt hat er seine Inszenierung von Max Frischs endzeitlicher Erzählung «Der Mensch erscheint im Holzän» am Deutschen Theater Berlin für SRF als Hörspiel eingerichtet.
Kein Entrinnen für Herrn Geiser
Herr Geiser ist beunruhigt. Im Tessin regnet es seit Wochen. Was, wenn der Berg ins Rutschen kommt und sein Haus, das Dorf, das ganze Tal verschüttet für alle Zeit? Der altgewordene ehemalige Unternehmer aus Basel sieht seine selbstgewählte Einsamkeit in Gefahr. Herr Geiser beginnt zu sammeln: Wissen, das nicht verloren gehen darf, Daten und Fakten. So will er Ordnung schaffen, gegen das natürliche Chaos ankämpfen, das sich ausbreitet. Um ihn herum, aber auch in seinem Kopf, wo sich die Anzeichen einer Demenz mehren. Schliesslich unternimmt er einen Fluchtversuch hinüber ins Nachbartal, scheitert aber und rettet sich zurück in sein Refugium. Herr Geiser erkennt: Dem Verschwinden und Vergessen ist nicht zu entkommen.
Max Frischs Zustandsbeschreibung von 1979 klinge für heutige Ohren erschreckend vertraut, stellt der Literaturwissenschaftler Peter von Matt fest: «Beginnt alles um mich herum langsam zu rutschen? Was bisher so fest gefügt und verankert war, ist ihm plötzlich nicht mehr zu trauen? Panik ist vorderhand nicht am Platz. Aber wäre es möglich, dass die bisherige Ordnung – wie soll man sagen? – kippt? Frischs Erzählung ist eine Meditationsvorlage für Zeiten, in denen es an allen Horizonten wetterleuchtet».
Von der Bühne ins Radio
Thom Luz nähert sich dem Text auf assoziativ-musikalische Weise. Die Hörspielfassung ist eine akustische Weiterentwicklung der Inszenierung, die der Regisseur für das Deutsche Theater Berlin erarbeitet hat. Bevor diese Arbeit ab Ende September auch am Basler Theaters zu sehen sein wird, ist die Hörspielversion erstmals auf SRF 2 Kultur zu hören. Als Sprecher wirken die Darstellerinnen und Darsteller von der Bühne mit, unter ihnen Ulrich Matthes in der Rolle des Herrn Geiser.
Mit: Ulrich Matthes (Herr Geiser), Judith Hofmann (Elsbeth, seine verstorbene Frau), Franziska Machens (Corinne, seine abwesende Tochter), Wolfgang Menardi (ein deutscher Sonnenforscher) sowie Leonhard Dering und Daniele Pintaudi als Pianisten und Radiostimmen
Musikalische Leitung: Mathias Weibel - Aufnahmen: Peter Kainz, Andreas Meinetsberger - Mix: Tom Willen - Textfassung, Montage und Regie: Thom Luz - Dramaturgie: David Heiligers (DT), Reto Ott (SRF) - Produktion: SRF in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater Berlin, 2018 - Dauer: ca. 70'