Alfred Zahner aus dem Kanton St.Gallen zog vor gut einer Woche eine vielversprechende Postkarte aus dem Briefkasten: Er, beziehungsweise seine Frau, sei exklusiv ausgewählt worden, eine Chance auf den Gewinn von 600‘000 Franken zu erhalten. Klingt verlockend!
Post vom «Direktor Preisübergabe-Büro» höchstpersönlich
Aufgedruckt ist auch ein SBB-Netzfahrplan von Zahners Wohnort an den Preisübergabe-Ort Baden-Baden in Deutschland, «wo Sie im Gewinnfall Ihren Gwinncheck in Höhe von 600'000 Franken in Empfang nehmen könnten.» Unterschieben hat Ulrich Forschner, «Direktor Preisvergabe-Büro» vom Verlang Reader’s Digest.
Leute ködern, um Waren anzudrehen
Alfred Zahner kennt nicht nur den Absender, sondern auch die Masche: «Es sieht so aus, dass man wieder einmal probiert, über den für mich eigentlich seriösen Namen Reader’s Digest Leute zu ködern, ihre Waren zu kaufen», erzählt er dem Konsumentenmagazin «Espresso» auf Radio SRF 1.
Alfred Zahner muss es wissen. Er hat für einen Kurs an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen zum Thema «kritisches Konsumverhalten» vor ein paar Jahren selber mitgespielt. Er erhielt tonnenweise Gewinn-Ankündigungen, Vorteils-Zusagen und Finalisten-Zertifikate. Und er bestellte immer wieder Waren, um beim Gewinnspiel dabeizubleiben – während bei Reader’s Digest die Kasse klingelte. «Ich bestellte im Katalog immer das Billigste, und hatte am Schluss sicher einen 30 cm hohen Stapel mit Briefen, und massenweise Kugelschreiber und billiges Plastikzeugs, das ich alles bestellt und auch bezahlt hatte.»
Billige Plastikrosen statt Hauptgewinn
Alfred Zahner hat neun Monate lang durchgehalten und ist bis zum bitteren Ende dabeigeblieben. Der Schluss überraschte kaum: Er sei leider nicht der Hauptgewinner. Man werde ihm jedoch einen «wunderbaren Rosenstrauss» zukommen lassen, verspricht Reader’s Digest. Tage darauf erhält «Espresso»-Hörer Zahner drei billige Plastikrosen – in einer Kartonschachtel.
Kritiker sprechen von «Demenz-Marketing»
Recherchen im Internet zeigen: Mit dieser Masche ist der Reader’s-Digest-Verlag schon seit Jahren unterwegs (auch «Espresso» hat schon berichtet). Im Internet beklagen sich viele Betroffene über die ständige Postwerbung, aber auch darüber, dass sie für tausende von Franken Ware bestellt haben, die sie eigentlich gar nicht wollen und brauchen. Dies, weil sie dachten, sie stünden kurz vor dem ganz grossen Gewinn. Kritiker sprechen von «Demenz-Marketing», das ganz bewusst auf die Gutgläubigkeit und Verwirrtheit einzelner Senioren abziele.
«Um jeden Franken schade!»
Auch Alfred Zahner will warnen. Seit er sich vor gut einer Woche ans Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1 gewendet hat, hat er bereits zwei weitere Werbebriefe erhalten – und diese gleich entsorgt. Gegenüber «Espresso» meint er: «Da mitzumachen ist um jeden Franken schade! Eigentlich müsste man diese Sendungen mit dem Vermerk ‹Zurück zum Absender› portofrei in den Briefkasten werfen, so muss die Firma immerhin noch das Rückporto zahlen.»
Stellungnahme von Reader’s Digest
Reader’s Digest wollte auf Anfrage von «Espresso» kein Interview geben. Das Unternehmen schreibt uns: «Ein Grossteil unserer Kunden schätzt diese spielerischen Elemente. Und natürlich wollen wir auch, dass der Kunde sich mit der Werbung befasst. Dabei hilft das Gewinnspiel. In jedem Fall ist die Gewinnchance unabhängig von einer Bestellung. Dies heben wir in unserer Werbung immer hervor und ist auch den Teilnahmebedingungen zu entnehmen. Wenn jemand unsere Werbung nicht haben möchte, reicht eine kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail, und wir sperren die Adresse.» Auf die Frage von «Espresso», ob unzufriedene Kunden die bestellte Ware zurückgeben können, gibt es von Reader’s Digest übrigens keine Antwort. |