Bauernverband
In der Schweiz werden pro Woche rund 50'000 Schweine geschlachtet. Selbstversorgung ist ein hehres Ziel der Schweizer Bauern. Dafür rüsten sie auf. SVP-Nationalrat Marcel Scherer betreibt in Hünenberg ZG einen der grössten Schweinezuchtbetriebe in der Schweiz. Marcel Scherer: «Wir brauchen einen hohen Selbstversorgungsgrad. Wir sind bei 60 Prozent. Tiefer darf es nicht fallen.»
Immer abhängiger
Auf dem Hof wird nichts dem Zufall überlassen: Per Chip im Ohr wird das Schwein identifiziert, der Computer steuert die genaue Futtermenge, das Tor zum Trog öffnet sich. Doch die Fleischproduzenten setzen nicht nur auf Elektronik, sondern auch auf eine ausgeklügelte Futtermischung. Scherer verwendet vor allem Mais aus eigenem Anbau, Speisereste aus der Gastronomie und kauft zusätzliches Futter ein.
Selbstversorgung sei ein Mythos, kritisiert Agrarökologe Andreas Bosshard. Er ist Geschäftsführer des Vereins Vision Landwirtschaft, der eine ökologischere Landwirtschaft fordert. Bosshard erklärt, die offiziellen Statistiken über den hohen Selbstversorgungsgrad von 60 Prozent verschweigen etwas Wichtiges: «Wenn man genau hinschaut merkt man, dass diese Zahl nur durch einen Bilanztrick zustande kommt.» Nicht berücksichtigt seien nämlich die grossen Mengen an importierten Futtermitteln.
Die Bauern werden immer abhängiger von Futter aus dem Ausland. 1996 importierte die Schweiz weniger als 500'000 Tonnen – 2008 sind es über eine Million Tonnen. Um diese Futtermittel zu produzieren, müsste die Schweiz ihre Ackerfläche verdoppeln. Ganze Futterberge aus dem Ausland tragen die Kräne im Rheinhafen Basel ab. Drei Schiffe pro Woche liefern allein geschrotete Sojabohnen aus Brasilien an – im Jahr 250'000 Tonnen.
Zertifiziertes Soja
Der Soja-Boom ist mitverantwortlich für die Abholzung der Urwälder. Der grösste Importeur Fenaco betont, dass man nur zertifiziertes Soja einkaufe, das nicht auf kürzlich gerodeten Regenwaldflächen wachse.
Die Importierten Futtermittel blasen die Schweizer Produktion auf. Druckluft presst das Sojaschrot vom Tanklaster in die Silos der Futtermühle Thalheim im Zürcher Weinland. Dort werden täglich bis zu 60 Tonnen Kraftfutter für Masttiere hergestellt, zusammengemischt aus verschiedenen Rohstoffen. Die Rohstoffe für Schweizer Kraftfutter kommen zu fast 60 Prozent aus dem Ausland. Besonders angewiesen sind die Bauern auf importiertes Soja, es liefert Eiweisse für die Tiere. Je nach Tier und Mastmethode beziehen die Bauern eine andere Mischung.
Auf seinem Hof in Rudolfingen lagert Bauer Andreas Müller in Silos tonnenweise Kraftfutter für die Mastmunis. Für gleich bleibende Fleischqualität stimmt er das Futter genau ab. Zweimal am Tag bekommen seine 150 Rinder eiweissreiche Pellets. Mit dem Kraftfutter verkürzt der Fleischproduzent die Mast.
Trügerische Zahlen
Schweizer Bauern decken rund 60 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs. Noch höher ist der sogenannte Selbstversorgungsgrad beim Fleisch: 87 Prozent. Eine stolze Zahl – aber falsch gerechnet. Denn nur mit Futter aus dem Ausland können Bauern so viele Tiere halten. Ohne Importfutter wäre der Selbstversorgungsgrad beim Fleisch gemäss erstmals publizierten Zahlen des Bauernverbandes nur 51 Prozent.
Schweizer Fleisch mit fremdem Futter – dennoch verteidigen die meisten Bauern die Importe aus dem Ausland. Marcel Scherer: «Ich bin der Meinung, wir sollten möglichst viel produzieren in der Schweiz.» Die Schweiz habe ein gutes Tierschutzgesetz und gute Bedingungen für unsere Schweineproduktion. Es sei wahrscheinlich gescheiter, Futtermittel statt fertige Fleischwaren zu importieren.
Futtermittelimporte ermöglichen den Bauern ohne zusätzliches Land mehr Tiere zu halten. Agrarökologe Andreas Bosshard kritisiert: Das störe ökologische Kreisläufe. Überdüngte Böden bei uns, Düngermangel im Ausland. «Das kann nicht die Lösung sein, dass wir hier aus Drittweltländer Futtermittel veredeln und zu Fleisch machen», betont Bosshard.
Anreiz Direktzahlung
In der Schweiz wird pro Sekunde rund ein Quadratmeter Landwirtschaftsland überbaut oder aufgegeben. Zumindest Bergbauern könnten auf Importfutter verzichten, wenn sie verbrachte Flächen wieder bewirtschaften würden. Das hat Andreas Bosshard in einer Studie berechnet. Doch die Entwicklung läuft in die gegenteilige Richtung: Schweizer Tiere fressen immer mehr Importfutter.
Bauern würden Futtermittel kaufen, weil es rentiere, sagt Bosshard. «Und es rentiert darum, weil die Rahmenbedingungen so sind.» Denn: Je mehr Tiere ein Bauer hat, desto mehr Direktzahlungen erhält er. Das animiere die Bauern, ihre Anzahl Tiere laufend aufzustocken.