Herma Ferrari wollte ihren Lebensabend im Tessin verbringen. Doch 2010, nach über 20 glücklichen Jahren in der Sonnenstube der Schweiz, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand massiv. Ihre Töchter mussten realisieren, dass ihre Mutter sofort einen Heimplatz braucht. «Es war Weihnachten und unsere Mutter hat Sommerkleider getragen», erinnert sich Violanda Hofstetter. «In der Nacht stand sie jede Stunde auf und meinte, es sei Tag.»
Sprachkenntnisse verloren
Ihre lebensfrohe, aktive Mutter von damals war nicht wiederzuerkennen. «Mit der Demenzerkrankung hat sie ihre Italienischkenntnisse verloren und sich immer mehr isoliert», sagt ihre Tochter. Deshalb war für die Geschwister klar: Die Mutter soll in ein Pflegeheim in ihrer Nähe, im Kanton Zürich. Sie fanden einen Platz in der Alzheimer- und Demenzklinik Sonnweid in Wetzikon ZH.
Doch damit beginnen die Probleme: Herma Ferrari kann mit ihren Einnahmen die Heimkosten nicht decken. Auch das Vermögen ist bald aufgebraucht. In solchen Fällen stehen Ergänzungsleistungen zur Verfügung. Dafür ist laut Gesetz der letzte Wohnkanton vor Heimeintritt zuständig. Doch der Tessin lässt die Familie hängen.
Das Problem: Der Kanton Tessin berechnet die Ergänzungsleistungen mit einem massiv tieferen Ansatz als der Kanton Zürich. Unter anderem, weil er seine Heime subventioniert.
Laut Tessiner Berechnung hätte Herma Ferrari pro Monat Geld übrig. Doch die Realität ist anders: Die Familie muss jeden Monat 3040 Franken selber bezahlen.
«Das ist für uns eine Katastrophe», sagt Violanda Hofstetter in der Sendung «Kassensturz» von SRF. «Meine Mutter hat über 20 Jahre im Tessin Steuern bezahlt, jetzt wird sie alleine gelassen.»
Keine Niederlassungsfreiheit im Alter
Violanda Hofstetter wehrt sich für ihre Mutter und geht bis vor Bundesgericht. Doch sie blitzt ab. Laut Bundesgericht hat die demenzkranke Herma Ferrari vom Tessin keine Ergänzungsleistungen zu Gute. Der Kanton dürfe mit der tiefen Pauschale rechnen. In einem solchen Fall müsse die Sozialhilfe einspringen.
Diese Gesetzeslage kritisiert Preisüberwacher Stefan Meierhans: «In der Schweiz hat man Bewegungsfreiheit; man kann Schulen wechseln, umziehen, es wird erwartet, dass man auch Arbeit an einem anderen Ort annimmt», sagt er. «Es darf nicht sein, dass diese Freiheit im Alter aufhört und man nicht mehr frei entscheiden kann, wo man in Würde die letzten Jahre seines Lebens verbringen möchte.» Bitter sei das auch für Familien, die ihre Angehörigen in der Nähe haben wollen.
Gesetz weist Lücken auf
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Die Situation von Herma Ferrari ist in der Schweiz kein Einzelfall. Wer im Alter in einem ausserkantonales Pflegeheim leben muss, kann in finanzielle Not geraten. Das Gesetz lasse den Kantonen zu viel Freiheit und müsse nachgebessert werden, sagt Ständerätin und Gesundheitspolitikerin Christine Egerszegi FDP. Die Absicht der neuen Pflegefinanzierung sei klar gewesen: Der letzte Wohnkanton vor Heimeintritt muss für die Kosten aufkommen. «In diesem Fall müssen Ergänzungsleistungen zugezogen werden können, egal in welchem Kanton Herma Ferrari nun lebt.»
Da müssten sich entweder die Kantone ändern oder man müsse sie dazu verpflichten, dass sie die Kosten in einem solchen Fall übernehmen – wenn das Heim auf der offiziellen Liste sei.
Das sehen die Kantone anders. Stefan Leutwyler von der Gesundheitsdirektorenkonferenz rechtfertigt die aktuelle Gesetzeslage. Herma Ferrari sei kein Fall für Ergänzungsleistungen: «Sowohl im Gesetz zur Pflegefinanzierung, als auch in der parlamentarischen Debatte war klar: Es kann solche Lücken geben. Dann soll die Sozialhilfe einspringen», sagt Leutwyler gegenüber «Kassensturz».
Tessin blockt auch bei der Sozialhilfe
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Doch der Kanton Tessin bezahlt auch keine Sozialhilfe. Die Familie hat diese schon vor zweieinhalb Jahren beantragt. Und obwohl das Bundesgericht klar sagt, die Sozialhilfe müsse die finanzielle Lücke decken.
«Das glaubt mir niemand, dass in der Schweiz eine kranke Frau so im Regen stehen gelassen wird und nicht einen Franken bekommt», sagt Violanda Hofstetter.
Immerhin: Einen Tag vor der Ausstrahlung im «Kassensturz» überweist der Kanton Tessin 29‘000 Franken – knapp ein Drittel der tatsächlichen Kosten. Und: Bis auf weiteres hilft die Stiftung des Pflegeheims Sonnweid mit 2000 Franken pro Monat. Geld, das die Familie zurückbezahlen muss, sobald der Kanton Tessin für den Fehlbetrag aufkommt.