Zum Inhalt springen

Frühe Frühchen (3) Fünf Wochen auf der Welt: Wie entwickeln sich die Gehirne?

Die Zwillinge Stefanie und Jasmin kamen drei Monate zu früh auf die Welt. Das kann sich auf die Gehirnentwicklung auswirken – muss aber nicht.

Die Frühchen Jasmin und Stefanie sind inzwischen fünf Wochen auf der Welt, kuscheln täglich mit ihrer Mutter, sind gewachsen und dürfen sogar hin und wieder in die Badewanne. Alles sieht soweit gut aus. Eine Garantie dafür, dass die Zwillingsmädchen ihren Frühstart ins Leben unbeschadet überstanden haben, ist das jedoch noch nicht. Deshalb steht jetzt vor allem die Hirnentwicklung der beiden im Fokus.

Immerhin: Neun von zehn Frühchen, die nach vollendeten 25 Wochen Schwangerschaft zur Welt kommen, weisen im Alter von drei Jahren keine schwerwiegenden neurologischen Probleme auf. Jede Woche, die ein Kind in der geschützten Umgebung des Mutterleibs bleiben kann, macht dabei einen enormen Unterschied. Von den extremen Frühgeborenen, die zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche geboren wurden, überlebt jedes Dritte nur mit schweren Behinderungen.

Die Gehirne werden genau überwacht

Denn das Gehirn dieser Babys ist noch lange nicht ausgereift. Das zeigt sich schon allein optisch: Bei einem Baby in der 24. Schwangerschaftswoche ist die Oberfläche des Gehirns noch glatt. Die Hirnwindungen nehmen erst in den folgenden Wochen zu. Ab der 38. Schwangerschaftswoche, also wenn die Kinder «geburtsreif» sind, sind sie schon deutlich ausgeprägt. «Das Gehirn ist bis zum normalen Geburtstermin aber noch nicht vollständig entwickelt. Es ist im Endeffekt abhängig von der Funktion anderer Organe, vor allem von Lungen und Herz und Kreislauf», erklärt Neoneurologe Giancarlo Natalucci.

Um zu überprüfen, wie es um die Gehirne der Winzlinge steht, finden regelmässige Untersuchungen statt. Das konventionelle EEG misst die Hirnströme und kann so beispielsweise Krampfanfälle frühzeitig feststellen. Mit der Magnetresonanztomografie untersuchen Neoneurologen die graue und weisse Hirnsubstanz, der routinemässig durchgeführte Ultraschall kontrolliert den Blutfluss und die Gehirnstruktur.

Alles sieht gut aus

All die Widrigkeiten, mit denen Frühchen kämpfen müssen, können Spuren in deren Hirn hinterlassen. Wenn beispielsweise die Sauerstoffversorgung nicht ausreichend war, kann das ebenso Folgen haben wie eine Überversorgung mit Sauerstoff. Auch verschiedene Medikamente oder entzündliche Prozesse können die Hirnentwicklung stören. «Wir versuchen, Hirnblutungen mit regelmässigen Untersuchungen aufzuspüren. Es gibt aber auch mikroskopisch kleine Blutungen, die wir überhaupt nicht sehen können. Die können aber auch einen Einfluss darauf haben, wie es dem Kind später geht», sagt Giancarlo Natalucci, der die Gehirne von Stefanie und Jasmin einmal pro Woche mit Ultraschall untersucht.

Im Falle der Zwillingsmädchen gibt der Neoneurologe Entwarnung: «Bei Stefanie und Jasmin gibt es keinerlei Läsionen im Gehirn, was sehr gut ist und uns optimistisch stimmt. Wenn sie keine Hirnblutungen haben, haben sie eine gute Chance, sich normal zu entwickeln. Ihr Risiko für eine mildere Entwicklungsproblematik ist aber dennoch erhöht – wie Koordinationsstörungen oder Teilleistungsstörungen. Aber das ist etwas, das ein unabhängiges Leben nicht beeinträchtigen wird.»

Mit Musik zur Ruhe kommen

Auch wenn die Folgen nicht so dramatisch sind: Viele Frühchen haben Probleme speziell mit der Sprachentwicklung und dem Abstraktionsvermögen. Manchmal sind sie generell in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Bereits im ersten Lebensjahr zeigen sich schwere motorische Handicaps, die beispielsweise auf schwere Gehirnblutungen zurückgehen. Die geistige Entwicklung ist dagegen schwerer nachweisbar. Bestimmte kognitive Fähigkeiten können erst ab einem Alter von vier Jahren wirklich erfasst werden. Auch Verhaltensauffälligkeiten kommen bei Frühgeborenen öfter vor als normal.

Damit bei Stefanie und Jasmin alles gut geht, bekommen sie nun zweimal pro Woche auch Besuch von einer Musiktherapeutin. Durch Berührungen und Summen hilft sie den Mädchen, sich zu entspannen und Kontakt zur Aussenwelt aufzunehmen. Ausserdem sind Töne und Hautkontakt eine Möglichkeit, Zugang zu den Kleinen zu finden und ihre Synapsen zur Vernetzung anzuregen. Auch wenn das Ergebnis nicht direkt messbar ist – zu geniessen scheinen es die beiden sehr.

Meistgelesene Artikel