HPV ist die Abkürzung für Humane Papilloma-Viren. Viele Menschen stecken sich im Laufe ihres Lebens – meist beim Sex – mit Papilloma-Viren an. Oft merken sie gar nichts davon, und die Viren verschwinden von selber wieder. Doch manchmal verursachen sie unangenehme Warzen im Genitalbereich. Oder sie führen gar zu Krebs – am häufigsten zu Gebärmutterhalskrebs.
Gegen einen Teil der aggressiveren HP-Viren gibt es eine Impfung unter dem Handelsamen «Gardasil» oder «Cervarix». Sie wird jungen Mädchen zwischen 11 und 19 Jahren empfohlen, in einem Alter, wo sie möglichst noch nicht sexuell aktiv sind und sich noch nicht angesteckt haben.
Jetzt sollen auch Knaben zur Impfung gegen HPV ermuntert werden und die Krankenkassen dafür aufkommen, empfiehlt die eidgenössische Kommission für Impffragen EKIF.
Penis- und Analkrebs vorbeugen
Prof. Christoph Berger ist als Kinderarzt und Infektiologe am Universitätsspital Zürich Mitglied dieser Kommission. Er begründet den Entscheid so: «Die EKIF hat entschieden, die HPV-Impfung als eine ergänzende Impfung für Knaben und junge Männer zu empfehlen, weil es auch eine beträchtliche Krankheitslast durch HPV-verursachte Krankheiten bei Knaben und jungen Männern gibt.»
Konkret kann HPV nämlich auch bei Männern zu Krebs führen: zu Penis- oder Analkrebs. Das sind allerdings seltene Krebsarten. Analkrebs zum Beispiel bricht gemäss neuesten Zahlen des Nationalen Instituts für Krebsepidemiologie und -registrierung jährlich nur bei rund 60 Männern aus und verläuft bei etwa zehn tödlich. Christoph Berger: «Jede Krebserkrankung ist eine schwere Erkrankung. Wenn man die verhindern kann, ist das ein guter Weg. Wir haben einen Impfstoff, der sehr sicher ist und der eine Chance bietet.»
Eine 100-prozentige Sicherheit bietet die Impfung allerdings bei Weitem nicht, denn der Impfstoff ist nur gegen zwei bis vier der zahlreichen HP-Viren wirksam.
Ob das ausreicht, um Krebs bei Männern vorzubeugen oder gar Krebstote zu verhindern, ist allerdings noch nicht erwiesen, sagt Prof. Nicola Low, Epidemiologin und Expertin für sexuell übertragbare Krankheiten an der Universität Bern: «Wir haben nur Studien zur kurzfristigen Wirkung der Impfung. Doch die Krebsarten, die durch HPV verursacht werden, brechen erst relativ spät im Leben aus.»
Es gebe eine gewisse Evidenz, dass die Impfung Krebsvorstufen verhindern hilft. «Das hat man bei homosexuellen Männern herausgefunden, weil bei ihnen Analkrebs häufiger ist. Aber wir wissen schlicht nicht, was die Impfung bringen wird gegen Anal- oder Peniskrebs.»
Das gilt streng genommen auch für den Schutz vor Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, obwohl die Indizien für einen Nutzen hier schon viel zahlreicher sind.
Geimpfte Männer Schutz für Frauen
Bessere Daten hat man zu den Genitalwarzen, einer viel harmloseren, aber häufigeren und unangenehmen Erkrankung. Dagegen hilft die Impfung mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit. Wissen wird man das für die Schweiz allerdings wohl nie, sagt Nicola Low: «Es gibt in der Schweiz schlicht keine nationale Erhebung zu Genitalwarzen. Deshalb wird es auch nicht möglich sein herauszufinden, ob die Einführung der Impfung für Buben genützt hat. Das heisst: Wir wissen einfach nicht, ob wir etwas Gutes machen.»
Doch es gibt noch einen dritten Grund für die HPV-Impfung bei Buben, sagt Christoph Berger von der EKIF: «Es gibt allenfalls einen gewissen indirekten Effekt, wenn sich viele Männer impfen lassen. Das kann beitragen zum Schutz der Frauen vor Gebärmutterhalskrebs.»
Auch das wurde allerdings noch nicht zweifelsfrei gezeigt. Trotzdem ist auch Nicola Low dafür, dass jeder Junge sich gegen HPV impfen kann, wenn er oder seine Familie denn möchte, zumal die Impfung sicher sei, also nur sehr wenige und wohl auch keine schwerwiegenden Nebenwirkungen habe. «Es ist sehr schwierig zu sagen: ‹wir warten jetzt noch 20, 30, 40 Jahre mit der Einführung einer möglicherweise nützlichen Impfung›, nur weil wir erst dann den Beweis haben, das sie nützt.»
Diese Position hat Nicola Low auch in einer Arbeitsgruppe vertreten, die die Impfkommission beraten hat. «Aber ich denke nicht, dass diese individuelle Impfempfehlung für die Buben sich stark auf die Infektionsrate der gesamten Bevölkerung auswirken wird.»
Kostspielige Impfung
Doch genau das müsste die Impfung, um ihre hohen Kosten zu rechtfertigen, monieren Kritiker. Denn die HPV-Impfung ist eine der teuersten Impfungen überhaupt.
Rechnet sich also eine Impfung bei Buben? Gesundheitsökonomische Studien kommen zu unterschiedlichen Schlüssen. Eine neuseeländische Studie hat berechnet, es sei sehr unwahrscheinlich, dass der Nutzen der Impfung bei Buben die Kosten rechtfertige. Eine italienische Studie wiederum zeigt auf, dass der Preis für die Impfung mindestens um die Hälfte fallen müsste, damit es sich ökonomisch lohne, auch Buben zu impfen. Andere Studien – aus den USA zum Beispiel – kommen zu positiveren Schlüssen.
Dr. Jane Kim, Expertin für öffentliche Gesundheit aus den USA, hat selber verschiedene Kosten-Nutzen-Berechnungen durchgeführt. Ihr Fazit: Es komme drauf an. In gewissen Szenarien lohne sich die Impfung für Buben durchaus.
Diese Szenarien gehen von einer tiefen Impfrate bei den Mädchen und einem sinkenden Impfpreis aus. Andere Szenarien hingegen liessen die Impfung zu teuer erscheinen. Aber vor allem zeigen die Berechnungen, dass es wohl kostengünstiger ist, die Impfung von Mädchen zu intensivieren, statt zusätzlich die Buben zu impfen, sagt Jane Kim. Für die Schweiz würde das bedeuten, die Impfrate über die heutigen rund 50 Prozent hinaus zu erhöhen.
Unterschiedliche Positionen in den Nachbarländern
Nicola Low ergänzt: «Es gibt keinen grossen Zusatznutzen, die Buben zu impfen. Denn den meisten Schutz erhalten die Buben dadurch, dass die Mädchen, mit denen sie Sex haben, geimpft sind.» Bei homosexuellen Männern sei das anders. Doch dass ein Junge homosexuell ist, zeige sich eben oft erst mit den ersten sexuellen Erfahrungen – also zu spät für die Impfung.
Trotzdem erwägt die britische Impfkommission eine Empfehlung gerade für homosexuelle Buben oder Männer, die sich noch nicht mit HPV angesteckt haben. Ausser Österreich hat aber noch kein Nachbarland der Schweiz Empfehlungen abgegeben zur HPV-Impfung bei Buben. Zu unsicher scheint ihnen der Nutzen.
Ist die Schweiz also etwas vorschnell vorgeprescht, zumal es hierzulande noch keine unabhängige Kosten-Nutzen-Abwägung gegeben hat? Christoph Berger von der EKIF: «Das sind Rechnungen, die da sicher im Gange sind. Deshalb ist es auch eine Empfehlung für eine ergänzende Impfung und nicht für eine Basisimpfung – im Gegensatz zu den Frauen, wo die Situation ganz anders ist.»
Ob das Bundesamt für Gesundheit dieser durchaus hinterfragbaren Empfehlung der EKIF folgt und die HPV-Impfung für Buben in den Impfplan aufnimmt, das wird sich wohl in Kürze zeigen. Denn der Impfplan wird jeweils zu Jahresbeginn neu herausgegeben.