«Esmya» - das noch junge Medikament gilt als innovatives Präparat. Es wirkt gegen Myome in der Gebärmutter. Doch vor zehn Tagen ein Rückschlag: In der EU vermutet man «Esmya» als Ursache für schwere Leberschäden, die bei mehreren Frauen auftraten. Jetzt läuft zur Klärung eine Untersuchung der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA). Bis dahin gelten auch in der Schweiz neu Anwendungsempfehlungen, welche Swissmedic von der EMA übernommen hat.
Swissmedic empfiehlt nun den Gynäkologen vorerst auf den Einsatz des Medikamentes zu verzichten. Weiter sollen Patientinnen eng überwacht und über die neuen Risiken dieser Myom-Behandlung aufgeklärt werden. Der Gynäkologe Hansjörg Huemer vom Bethesda Spital in Basel behandelt aktuell zwei Frauen mit Esmya und musste diese ebenfalls informieren: «Die Patientinnen haben überrascht reagiert, was natürlich verständlich ist, wenn wir im Nachhinein anmerken müssen, dass es Sicherheitsbedenken gibt.»
Verspätete Warnung
Gleich mehrere Medikamente sorgten bei Swissmedic in den letzten Monaten für Schlagzeilen. «Puls» berichtete über das Osteoporose-Medikament «Prolia», welches beim falschen Absetzen gefährliche Rückenwirbelbrüche verursachen kann. Das Multiple-Sklerose-Medikament «Zinbryta» verliert sogar die Zulassung, weil Patienten an den Nebenwirkungen gestorben sind. Wie bei allen Medikamenten wurde auch bei «Esmya» die Sicherheit vor der Zulassung durch Swissmedic überprüft. Weshalb kommen die Warnungen vor möglichen den Nebenwirkungen erst jetzt?
Christoph Küng ist der Leiter der Arzneimittelsicherheit bei Swissmedic und sagt: «Vor der Zulassung hat man die Medikamente in kleinen Gruppen getestet und nach der Zulassung wird das Medikament unter Alltagsbedingungen an sehr vielen Patienten untersucht. Erst da kann man seltene Nebenwirkungen erfassen.»
Eine Frage der Masse
Es ist nämlich eine Frage der Statistik. Zuerst werden die Medikamente nur an ganz wenigen gesunden Personen getestet. Dann untersuchen die Forscher in weiteren Studien die Sicherheit und Wirksamkeit auch an kranken Menschen. In der letzten Phase III sind das rund 1000 bis 3000 Betroffene. Die häufigsten Nebenwirkungen sind bis dann erfasst. Sind diese vertretbar, gibt es in der Regel grünes Licht für die Zulassung. Erst im Routinebetrieb, wenn noch viel mehr Menschen ein Medikament einnehmen, findet man die sehr seltenen Nebenwirkungen.
Eigentlich sind Ärzte, Apotheker und Hersteller gesetzlich verpflichtet, beim Gebrauch auftretende Nebenwirkungen an Swissmedic zu melden. Auch Patienten können dies tun. Doch Meldungen über solche Nebenwirkungen sind rar, sagt Stephan Krähenbühl, Chefarzt der klinischen Pharmakologie am Universitätsspital Basel: «Wir gehen davon aus, dass etwa fünf bis zehn Prozent der unerwünschten Nebenwirkungen gemeldet werden.» Die Gründe darin sieht er im Meldesystem. Es gebe kein Geld für Meldungen, es sei ein Mehraufwand und manchmal übersehe man auch den Zusammenhang. Der Pharmakologe geht aber davon aus, dass die wichtigsten und schwerwiegenden Fälle gemeldet werden. Das zeige sich jetzt beim Beispiel «Esmya», so der Experte.
Dunkelziffer ist hoch
Bei schweren Nebenwirkungen funktioniert es. Trotzdem dürfte die Dunkelziffer von Nebenwirkungen hoch sein. Bei Swissmedic ist man sich dieser Problematik bewusst. «Genau deshalb arbeiten wir konstant daran zu informieren und aufzuklären, indem wir die Bedeutung der einzelnen Meldung aufzeigen – denn jede Meldung kann entscheidend sein, um ein neues Risiko zu finden», sagt Christoph Küng.
Bei «Esmya» sollen bis im Mai die Resultate der Untersuchung vorliegen. Für Frauen, die jetzt noch das Medikament einnehmen, gilt erhöhte Aufmerksamkeit. «Ihnen rate ich, sich bei ihrem Frauenarzt zu melden», sagt der Gynäkologe Hansjörg Huemer. Es gelte, die Empfehlungen von Swissmedic umzusetzen.
Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Bei Medikamenten muss immer wieder neu zwischen Nutzen und Sicherheit abgewogen werden. Meldungen zu Nebenwirkungen helfen jedoch, die Risiken für den Patienten besser einordnen zu können.