Auf den ersten Blick scheint es einfach: Ithaka ist einer der wenigen Orte, die Homer in der Odyssee beim Namen nennt und der noch heute auf einem Atlas zu finden ist. Odysseus’ Heimat liegt vor der griechischen Westküste und sein Königreich umfasste alle Ionischen Inseln, das bestreitet niemand.
Und dennoch lässt sich der Heimatort des Abenteurers nicht eindeutig bestimmen. Die Einwohner von Ithaka und die der Nachbarinsel Kefalonia sind überzeugt, dass ihre Insel Odysseus‘ Heimat sei. In ihren hitzigen Debatten geht es nicht nur um eine literarisch-geografische Frage, sondern auch um eine existentielle Identitätsfrage. Sie wollen nicht nur beweisen, dass ihre Insel Homer inspirierte, sondern am liebsten auch gleich, dass Odysseus wirklich gelebt hat – und das natürlich auf ihrer Insel.
Odysseus Münze auf Ithaka entdeckt
Davon sind die rund 3000 Einwohner von Ithaka überzeugt. Der heutige Inselname und die Namensgebung vieler Bewohner zeugen davon, dass ihre Insel das Ithaka aus Homer‘s Epos sei, finden sie. Seit Generationen gibt es auffällig viele Einwohner mit den Vornamen Penelope, Telemachos und Odysseus auf der Insel. Die Namen seien hier jederzeit populär gewesen, erzählen die Ithaker, im Unterschied zum restlichen Griechenland, wo die Namen der Odyssee erst seit kürzerem wieder an Beliebtheit gewinnen.
Ein archäologischer Fund stützt ihre Theorie: Auf Ithaka wurde eine antike Münze gefunden mit Odysseus‘ Abbild. Im Norden der Insel wurden ausserdem prähistorische Bauten, darunter auch eine Akropolis, entdeckt. Der Vize Bürgermeister Loukas Anagnostatos ist sich deshalb sicher: «Ich bin kein Archäologe. Aber mein Gefühl, meine Theorie und mein Herz sagen mir, dass Odysseus von dieser Insel ist.»
Königsgrab auf Kefalonia ausgegraben
30 Kilometer weiter, auf der Nachbarinsel Kefalonia, ist man ganz anderer Meinung. Dort leben heute rund 40 000 Einwohner und sie kennen verschiedene Odysseus-Theorien, fast zu jeder Bucht eine. Die Herleitungen sind unterschiedlich, doch alle kommen zum Schluss, dass Odysseus nach seiner zehnjährigen Irrfahrt in der jeweiligen Bucht ankam. Ihr wichtigstes Argument ist die Topografie: Einen herausragenden Berg, wie ihn Homer schildert, gibt es nur auf Kefalonia. Kefalonias höchster Berg Enos ist 1628 Meter hoch.
Auf der weithin sichtbaren Ithaka wohn’ich; ein Berg ragt eindrucksvoll auf dort, …
Im Südosten der Insel, nahe des Dorfes Poros, wurde in den 90er-Jahren ausserdem ein Königsgrab entdeckt, das aus der mykenischen Zeit stammt. Aus jener Zeit, die man heute Odysseus zuordnet. Einer, der die Poros-Theorie am leidenschaftlichsten vertritt, ist der ehemalige Regionalpolitiker Maxis Metaxas. Zusammen mit seiner Frau sucht er seit zwei Jahrzehnten nach Beweisen, die die Theorie stützen, hier handele es sich um das Grab des Odysseus.
Maxis Metaxas ist überzeugt, dass die Odyssee kein Mythos war: «Das war Realität. Wir machen all diese Nachforschungen nicht, um uns selber etwas zu beweisen, sondern weil wir inzwischen wissen, dass hier in der Gegend etwas Bedeutendes geschehen ist.» Er sieht es deshalb als seine Verantwortung, die Menschheit aufzuklären und schreibt an einem Buch, das seine Beweisführung darlegt.
Fehlende Unterstützung von Athen
Damit wird die Bücherauswahl zu den verschiedenen Ithaka-Theorien noch umfangreicher. Beide Inseln beklagen, dass ihnen für weitere Ausgrabungen und Beweisführungen – nicht zuletzt wegen der griechischen Wirtschaftskrise – das Geld und vor allem die Unterstützung des nationalen Kulturministeriums fehlen. Zum Trost lässt sich sagen: So bleibt die Frage, wo das wahre Ithaka liegt, zum Glück offen, und beide Inseln profitieren, denn vom Tourismus mit Odysseus Heimat lässt sich gut leben.