Brandunglücke, seltsame und wunderliche Tiere: Vor 500 Jahren war das Flugblatt kein Werbemedium, das den Briefkasten verstopft, sondern ein faszinierendes Fenster in die weite Welt. Berichtet wurde über alles, was sich gut verkaufen liess.
Der Buchdruck als Wegbereiter
Mit der Erfindung des modernen Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts waren auch die Weichen für die ein- bis zweiseitigen Flugblätter gestellt, die schnell zum angesagten Informationsmedium avancierten.
Teures Pergament wurde von bedruckbarem Papier abgelöst, und so fanden Nachrichten und Wissen schnell den Weg aus den Klöstern und Ratsstuben hinaus auf die Marktplätze, wo sich das alltägliche Leben der breiten Bevölkerung abspielte.
Nachweisen lassen sich Flugblätter seit 1488. Das älteste überlieferte Flugblatt ist der Bericht Sebastian Brants zum «Donnerstein von Ensisheim» 1492. Dort wird vom Einschlag eines Meteoriten berichtet, der als Vorbote für weiteres Unglück interpretiert wurde und als Warnung an die Bevölkerung galt, sich auf ein gottesfürchtiges und frommes Leben zu besinnen, um so zukünftigen Schaden zu verhindern.
Boulevard-News interessierten schon vor 500 Jahren
Bei den frühen Drucken handelte es sich nicht um politische Schriften, wie sie insbesondere im Zuge der Reformation und der Bauernkriege aufkommen, sondern um kommerzielle Handelsware, die in erster Linie grossen Absatz finden sollte.
Entsprechend konzentrierten sich die Inhalte auf kurze, einprägsame Berichte von wundersamen Begebenheiten, Krönungsfeiern und verschuldete oder unverschuldete Unglücke im Alltag.
People-Journalismus war bereits im 16. Jahrhundert überaus beliebt. So berichtet ein Flugblatt vom festlichen Ochsen, der 1562 anlässlich der Krönung Kaisers Maximilian II. über dem offenen Feuer gebraten wurde. Gefüllt war er mit einem Hirsch, einem Schwein, einem Kalb und verschiedenem Geflügel. Für die einfache Bevölkerung zuhause auf dem Marktplatz eine Sensation.
Auch für Analphabeten geeignet
Damit sich die Flugblätter auf den Jahrmärkten und vor den Kirchen gut verkauften, mussten die Inhalte die Käuferschaft unterhalten. Da die Mehrheit der Bevölkerung im 15. und 16. Jahrhundert noch nicht lesen und schreiben konnte, waren die Illustrationen zu den Texten besonders wichtig. Die Darstellungen, die auf Holzschnitten und Kupferstichen basierten, mussten einerseits den Leser auf den Inhalt aufmerksam machen, zugleich den Inhalt erzählen. Durch die Bebilderung konnte eine breitere Kundschaft angeworben werden.
Der Kauf eines Flugblatts war keine Kleinigkeit. Gemäss heutigen Erkenntnissen hat ein Flugblatt etwa so viel gekostet, wie ein Handwerker mit einem halben Tag Arbeit verdiente. Wer ein Flugblatt sein Eigen nennen konnte, nutzte es, um damit sein Zuhause zu schmücken und hängte es an Türen und Wände.
Flugblätter als Sammelobjekte der Gelehrten
Flugblätter waren aber nicht nur als Dekoration begehrt, sondern wurden insbesondere von Gelehrten gesammelt und weitergeschickt. So bildeten sich insbesondere im 16. Jahrhundert intensiv gepflegte Gelehrtennetzwerke heraus.
In Zürich profitierte zum Beispiel Konrad Gessner von solchen Zuschriften aus nahen und fernen Regionen, die von den Gelehrten wie Panini-Bilder gesammelt und getauscht wurden. In seinen umfangreichen Sammelbänden zu Flora und Fauna führte er bekannte und unbekannte Tiere und Pflanzen zusammen, beschrieb und kategorisierte diese. Eine Art Wikipedia des 16. Jahrhunderts, die heute noch in Staunen versetzt.
Grösser, schneller, weiter
Mit der vereinfachten Vervielfältigung wurde das Verbreiten von Nachrichten nicht nur schneller, es konnte auch auf aktuelle Ereignisse eingegangen werden. Tagesaktuelle Nachrichten, wie wir sie heute kennen, wurden so erstmals für die breite Bevölkerung zugänglich.
Aus den einblättrigen Flugblättern entwickelten sich bald ganze Flugschriften, die über mehrere Seiten verteilt über Ereignisse berichteten. Flugblätter wie Flugschriften erschienen noch nicht regelmässig, waren also Gelegenheitsschriften, doch schon damals nannte man sie «Neue Zeitungen», was neue, aktuelle Nachrichten bedeutete.
Flugblätter als «schnelles» Medium hatten noch einen weiteren Vorteil: Da sie meist unter anonymer Autorschaft herausgegeben wurden und die Druckerpresse bei Bedarf schnell gezügelt werden konnte, waren die Flugblätter ideal, um die schon damals herrschende Zensur zu umgehen und auch Nachrichten unter die Leute zu bringen, die der geistlichen und weltlichen Obrigkeit nicht gefielen.