Die Psychologin und Sex-Beraterin Caroline Fux plädiert für weniger Leistungsdenken im Bett und erklärt, warum körperliche Nähe für Langzeitpaare zum Stolperstein werden kann.
SRF: In der Serie «Seitentriebe» schlagen sich Langzeitpaare mit mangelnder Lust und Kommunikationsproblemen im Bett herum. Nimmt die sexuelle Lust im Laufe einer Beziehung ab?
Caroline Fux: Ja. Als biologische Wesen sind wir nicht darauf programmiert, dass uns auch nach fünf Jahren jedes Mal das Höschen wegfliegt, wenn der Partner zur Tür reinkommt. Der Reiz des Neuen spielt eine wichtige Rolle in der Sexualität.
Auch die persönliche Motivation zu Sex kann zum Stolperstein werden. Wenn jemand Sex vor allem als Mittel zum Kinderkriegen betrachtet, verliert er nach Abschluss der Familienplanung seinen Reiz. Geniesst jemand am Sex vor allem Nähe und nicht genitale Lust, dann kriegt die Person diese Nähe auch bequemer beim Kuscheln.
Von nichts kommt nichts – dies gilt auch für die Sexualität.
Oft kümmern sich die Leute nicht genug um ihre Sexualität. Sie haben das Gefühl, guter Sex passiere einfach. Aber das ist falsch: Von nichts kommt nichts – dies gilt auch für die Sexualität. Man muss investieren und sich immer wieder fragen, wo man steht.
Sprechen wir hier nur von der «klassischen» heterosexuellen Liebesbeziehung oder gilt das auch für unterschiedliche Beziehungsformen?
Die meisten Beziehungen finden nun mal im «klassischen» Modell statt. Doch es kommt viel mehr auf das gewählte Beziehungsmodell an. Homosexuelle, die sich für eine monogame Beziehung entscheiden, kämpfen über kurz oder lang mit ähnlichen Problemen wie andere Langzeitpaare auch. In einer offenen Beziehung gelten dann wieder andere Spielregeln.
Muss wenig Sex zwingend zu einer Krise führen? Vielleicht sind für manche andere Formen von Nähe wichtiger als Sex.
Es geht darum, eine gute Balance zu finden. Sex ist nicht das Wichtigste im Leben. Aber er ist auch nicht unwichtig. Er unterscheidet Liebesbeziehungen von Freundschaften. Und: Flauten und Krisen gehören zu einer Beziehung. Es gibt gute Gründe, eine Weile keinen oder wenig Sex zu haben: vor Prüfungen, bei einem Karrieresprung, nach einer Geburt oder wenn Paare an nicht am selben Ort leben. Wieder andere haben in belasteten Zeiten besonders viel Sex, weil sie so Dampf ablassen können.
Es gibt gute Gründe, eine Weile keinen oder wenig Sex zu haben
Wichtig ist, dass man das Sexleben nicht ganz einschlafen lässt. Wenn dieses System erst Mal zum Stillstand kommt, wird viel mehr Energie benötigt, um es wieder zum Laufen zu bringen, als wenn man es pflegt. Darum empfehle ich, ein Auge darauf zu haben. Sex kann schön und sinnstiftend sein und sorgt auf biochemischer Ebene für Nähe.
Sex ist auch eine Form der Kommunikation. Können sich Vertrauen und Geborgenheit in einer langen Beziehung nicht auch befreiend und anregend auswirken?
Auf jeden Fall. Sicherheit mag bisweilen ein Beziehungskiller sein. Doch für viele Menschen ist Vertrautheit wichtig. Und – dies ist statistisch bewiesen – es sind die Paare, die mehr Sex haben und nicht die «wilden Singles». Beziehungen sind ein guter Rahmen für Sexualität: Man muss nicht immer alles neu verhandeln, kann sich entdecken, gegenseitig beflügeln und über Bedürfnisse sprechen.
War das immer so?
Ich bin keine Sexualhistorikerin. Aber in der Geschichte der Menschheit wechselten sich offene und weniger offene Phasen ab. Wir denken, wir seien heute locker und aufgeklärt. Aber es gab Zeiten, in denen man wesentlich lockerer und offensiver mit dem Thema Sexualität umging.
Die Frau als sexuelles Wesen ist leider ein relativ neues Phänomen.
Die Frau als sexuelles Wesen ist leider ein relativ neues Phänomen. Lange wurde Sex als positive Sache vor allem den Männern zugeschrieben. Erst im Zuge des Feminismus meldeten Frauen ihre Bedürfnisse an. Der Boom in der Sexspielzeug-Industrie hat stark damit zu tun, dass Frauen ihre Lust entdecken, einfordern und zu handeln beginnen.
Ging mit dieser Befreiung auch ein neuer Druck einher – mit all den Ratgebern und Bildern von jungen Müttern, die möglichst rasch wieder attraktive Liebhaberinnen sein sollen?
Wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung. Diese betrifft alle Lebensbereiche, auch die Sexualität. Ein zweischneidiges Schwert. Angeblich ist alles stets für alle erreichbar und das sofort – wenn es einem nicht gut geht, hat man sich zu wenig Mühe gegeben. Dieses Leistungsdenken ist schädlich und kann ein Lustkiller sein. Wichtig ist nicht die Leistung, sondern sexuelles Wohlbefinden. Dass wir geniessen und lernen, auf unserem Körper wie auf einem Instrument zu spielen und zu improvisieren.
Das Gespräch führte Katharina Flieger.