Die Schweiz ist ihre Heimat. Hier sind sie aufgewachsen. Und doch werden sie immer wieder auf ihre Herkunft angesprochen. Dabei sprechen sie viel lieber über ihre Leidenschaften.
Olivia El Sayed: die Kraft der Sprache
Sie erzählt Geschichten, die oft eine komische Wendung nehmen, unterstreicht das Gesagte mit Gesten und einer lebhaften Mimik. Olivia El Sayed lacht oft – auch über sich selbst.
Dabei schreibt sie eigentlich lieber, schon seit der Schulzeit: «Schreiben war bei mir immer besser als Reden.» Heute tut sie beides. Die 41-Jährige arbeitet als freie Autorin und Spoken-Word-Künstlerin. Sie ist in Pfungen bei Winterthur aufgewachsen, mit einer Schweizer Mutter und einem ägyptischen Vater.
Natürlich sind mir Momente passiert, die mir mit einer anderen Herkunft nicht passiert wären.
Dass ihr die Sprache so wichtig ist, hat auch mit dem verstorbenen Vater zu tun. Dieser redete in einer Mischung aus Deutsch, Arabisch und Englisch. In ihrem ersten Buch «Flowery Wordis» beschreibt sie liebevoll seinen kreativen Umgang mit Sprache.
Wegen ihrer Herkunft habe sie zwar nichts Schlimmes erlebt, betont sie. «Aber natürlich sind mir Momente passiert, die mir mit einer anderen Herkunft nicht passiert wären.» Wie etwa der Hinweis der Zugbegleiterin, dass sie doch sicher in der 2. Klasse fahren wolle.
Es könnte auch gar nicht so gemeint gewesen sein, fügt sie an. Und doch verstärken solche Momente eine ihr bekannte Empfindung: «Man ist nichts Richtiges. Ich bin nie eine ganze Schweizerin, aber auch nie eine ganze Ägypterin.» Heute deutet sie diesen Eindruck positiv um: «Fürs Gefühl ist es wichtig, zu lernen, dass man nicht nichts ist, sondern von beidem ein wenig (…) und das ergibt dann eine Mischung.»
Sinisha Lüscher: der erste Schwarze Schwingerkönig?
Eine solche «Mischung» ist auch der 17-jährige Sinisha Lüscher. Seine Mutter ist Schweizerin, sein Vater Ghanaer. Auch Lüscher ist «von hier», aus Uerkheim im Kanton Aargau. Er absolviert eine KV-Lehre auf der Bank und betreibt einen urschweizerischen Sport: Schwingen.
Mit seinen über 100 Kilogramm hat der Jugendliche bereits die typische Postur eines «Bösen». Er ist nicht der erste Schwinger in der Familie. Schon der Urgrossvater und die Grossonkel mütterlicherseits schwangen. «Es ist ein riesiger Teil von mir. Ich liebe Schwingen.»
Gleich an seinem ersten Schwingfest belegte der Jungschwinger den 2. Platz. Zahlreiche Glocken und Zweige zu Hause bei der Mutter zeugen von den Erfolgen, die er seither im Sägemehl verbuchen konnte.
Er will mehr als andere.
Sein Trainer Gregor Bucher kennt den ehrgeizigen Sportler seit dem ersten Training: «Er will mehr als andere.» Was das heisst, sagt Sinisha Lüscher deutlich: Er will Schwingerkönig werden, «der erste Schwarze Schwingerkönig».
Worte mit Wirkung
Dass er nicht nur Schwinger, sondern eben ein schwarzer Schwinger ist, wird immer wieder zum Thema gemacht. Gregor Bucher erzählt von den ersten Schwingfesten, an denen Lüscher teilnahm. Da gab es junge Athleten, die Mühe hatten, gegen einen Schwarzen zu schwingen. Das Schlimmste, was der Jungschwinger von einem Kontrahenten hören musste: «Du scheiss N** kannst warten, bis wir geduscht haben, dann kannst du duschen.»
Worte, die hängen bleiben und mit Muskelkraft nicht beiseite geschoben werden. Oder wie Olivia El Sayed es formuliert: «Man spürt, wie viel Kraft Worte haben, wenn man überlegt, was einem selbst schon Schlimmes gesagt wurde. Es trifft einen und man trägt es lange mit sich herum.»