85 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben aktuell in Städten. 60 Prozent der Frauen arbeiten Vollzeit und sind 30 Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal vor den Altar treten. Laut Bundesamt für Statistik (BFS) sieht so die durchschnittliche Schweizerin aus. Nicht dem Durchschnitt entspricht Salome Kieser.
Salome hat mit 22 geheiratet und arbeitet 60 Prozent in einer Tagesstätte für Menschen mit psychischen Erkrankungen. In der übrigen Zeit kümmert sich die heute 26-Jährige um den Haushalt, bastelt, kocht, strickt oder schaut zu den Hühnern. Mit ihrem Mann, der den Haupterwerb leistet, lebt sie in Dürrenäsch (AG).
Einen Supermarkt sucht man im kleinen Aargauer Dorf vergeblich. Es gibt hier einen Volg. Und es gibt einen Landfrauenverein. Hier ist die junge Frau Mitglied.
Klingt nach einer Zeitreise ins Jahr 1970 mit verstaubten Rollenbildern? Findet auch Salome. Sie selbst sieht sich nämlich als Feministin. Aber darf eine Feministin weniger arbeiten als ihr Mann? Und kann sich eine Feministin für den Haushalt und gegen eine Karriere entscheiden?
Es war ein Prozess
«Ja, genau das kann sie», findet Salome. Nicht immer war sie dieser Meinung. Lange hat sie mit der Entscheidung gehadert, weniger zu arbeiten als ihr Mann. Sie dachte, das widerspreche dem, wofür viele vor ihr gekämpft hatten.
Erst durch viele Gespräche mit unserem Umfeld haben wir gemerkt, dass es in Ordnung ist, so zu leben, und dass wir niemandem etwas schuldig sind.
Irgendwann musste sie sich aber eingestehen, dass es für sie so einfach stimmt. Dass sie gerne den Haushalt macht, dass sie gerne bastelt, und dass ihr die Ruhe zu Hause guttut. Das helfe ihr auch mit dem ADHS.
Das war ein Prozess. «Erst durch viele Gespräche mit unserem Umfeld haben wir gemerkt, dass es in Ordnung ist, so zu leben, und dass wir niemandem etwas schuldig sind.»
Ziel: Selbstversorgung
Heute lebt Salome befreiter. Neben dem Haushalt verbringt sie auch viel Zeit im grossen Garten, den sie zusammen mit ihrem Mann bewirtschaftet. Das Ziel der beiden: sich selbst versorgen zu können. «Aktuell müssen wir nur etwas kaufen, wenn wir Lust auf Gemüse haben, das bei uns gerade keine Saison hat. Oder Rüebli. Weil die bei uns einfach nicht so gut kommen», sagt sie lachend.
Etwas fehlt mir schon. Meine Freundinnen. Ich kann mich nicht spontan mit ihnen auf einen Kaffee treffen.
Gemüse ernten und verarbeiten nimmt ebenfalls viel Zeit von Salome in Anspruch. Einen Teil essen sie und ihr Mann frisch, verschenken es oder verkaufen es in ihrem «Hofladen». Einen grossen Teil aber trocknet oder macht Salome ein.
Alles Arbeiten, die ihr wahnsinnig viel geben würden. «Ich liebe es, im Garten Insekten zu beobachten und den Pflanzen beim Wachsen zuzuschauen.» Das klingt alles fast ein wenig zu perfekt.
«Etwas fehlt mir schon. Meine Freundinnen. Ich kann mich nicht spontan mit ihnen auf einen Kaffee treffen.» Das sei aber nicht schlimm, benötige halt einfach mehr Planung. Alles in allem überwiegen für Salome – die auch schon in der Stadt gelebt hat – die Vorteile: «Ich würde nicht mehr tauschen wollen.»