Mikaela Shiffrin muss sich in diesem Moment vorgekommen sein wie der einsamste Mensch der Welt. Mit angezogenen Beinen, den Kopf zwischen den Händen vergraben, sass die Amerikanerin nach ihrem Out im 1. Lauf des Slaloms am Pistenrand im Schnee. Nach nur vier Toren war das Rennen für sie bereits gelaufen.
Es ist das zweite überraschende Ausscheiden nach dem Innenskifehler im Riesenslalom, wo Shiffrin ebenfalls bereits im 1. Lauf die Segel hatte streichen müssen. Es ist mehr als 10 Jahre her, seit die 4-fache Slalom-Weltmeisterin in zwei aufeinanderfolgenden Technik-Rennen ausgeschieden ist. Nun ist ihr dies ausgerechnet an den Olympischen Spielen wieder einmal passiert.
Shiffrin zeigte sich wenig überraschend schwer enttäuscht. «Es war eigentlich der perfekte Ski-Tag. Das Warm-up und auch die Trainings der letzten Tage liefen super. Es gab keinen Grund, mich zurückzuhalten. Ich wollte Vollgas fahren», so die Amerikanerin im SRF-Interview.
Nicht mehr die alleinige Dominatorin
Vollgas hätte es wohl auch gebraucht, um im Olympia-Slalom ganz vorne mitmischen zu können. Anders als in der Vergangenheit ist die Slalom-Weltspitze in den letzten zwei Jahren dichter geworden. Bereits Anfang Januar war Shiffrin im Slalom von Kranjska Gora zum ersten Mal seit 4 Jahren ausgeschieden – nicht zuletzt angesichts der Dominanz von Petra Vlhova, 5-fache Saisonsiegerin und nun auch Olympiasiegerin im Slalom, muss die 26-Jährige zunehmend mehr Risiko eingehen.
Er würde mir wahrscheinlich sagen: ‹Komm darüber hinweg.›
In den schweren Momenten nach den Outs im Riesenslalom und Slalom vermisst Shiffrin jenen Mann, der sie früher so oft wieder aufgebaut hatte. «Ich würde ihn jetzt wirklich gerne anrufen», sagte sie über ihren Vater Jeff – und schluchzte. Denn Jeff kann seine Tochter nicht mehr trösten: Er verstarb vor zwei Jahren bei einem tragischen Unfall zuhause.
«Er würde mir wahrscheinlich sagen: ‹Komm darüber hinweg›», erzählte Shiffrin und lachte verzweifelt, «aber er ist nicht hier, um mir das zu sagen.» Das mache alles noch viel schlimmer. Wie konnte er sie nur so im Stich lassen? «Ich bin ziemlich sauer auf ihn», sagte die US-Amerikanerin.
Aufmunternde Worte erhielt Shiffrin im Moment der Enttäuschung von ihrer Landsfrau Lindsey Vonn. «Dies ändert nichts an ihrer grossartigen Karriere», schrieb die 82-fache Weltcupsiegerin auf Twitter.
Noch sind die Spiele für Shiffrin, die bereits drei olympische Medaillen gewonnen hat (Gold im Slalom 2014, Gold im Riesenslalom und Silber in der Kombination 2018), nicht gelaufen. Es bleiben noch der Super-G am Freitag und anschliessend die Abfahrt und die Kombination, um dem Abenteuer Peking doch noch ein Erfolgskapitel hinzuzufügen.