Seit 10 Monaten ist Marcel Koller Trainer in Ägypten. Und in dieser Zeit hat der Zürcher mit seinem Klub Al Ahly alles gewonnen, was es für einen ägyptischen Klub zu gewinnen gibt. Im Herbst 2022 und im Mai 2023 tütete der Verein aus Kairo 2 Titel im Supercup ein, im Frühling resultierte der Triumph im nationalen Pokal und in den letzten Wochen kamen die Siege in der afrikanischen Champions League sowie in der ägyptischen Meisterschaft hinzu. SRF erreichte den 62-Jährigen im Hotel in Kairo und sprach mit ihm über die Erwartungshaltung der Fans, einen Besuch bei den Pyramiden und Ferien in der Schweiz.
SRF Sport: Marcel Koller, nach zwei Jahren Unterbruch hat Al Ahly wieder den Meistertitel gewonnen. Fällt eine grosse Last von Ihren Schultern?
Marcel Koller: Das würde ich nicht so bezeichnen. Mein Team und ich wollten hier einfach erfolgreich arbeiten. Und es wurde eine fantastische Saison, in der wir fast alles gewonnen haben. Wir spürten natürlich auch den Druck von den zig Millionen Al-Ahly-Fans im Land. Sie sind sehr fordernd und verlangen eigentlich immer Siege. Bei einem Unentschieden ist man bereits etwas unzufrieden. Aber darauf haben wir uns eingestellt.
Sie sind mit Al Ahly auf dem Sofa Meister geworden. Trübt das etwas die Freude?
Nein, denn ich habe schon Erfahrung damit. Schliesslich bin ich auch mit dem FC St. Gallen (im Jahr 2000; die Red.) auf dem Sofa Meister geworden. Das ist bei mir abgespeichert, ich konnte mich darauf einstellen.
Al Ahly hat in der Meisterschaft kein einziges Spiel verloren. Ist Ihre Mannschaft so gut oder die Konkurrenz so schwach?
Die Liga ist gar nicht so «einfach», wie man das vielleicht meinen könnte. Die Defensive hat bei allen Teams einen hohen Stellenwert. Und wenn sie gegen uns spielen, dann versuchen die Gegner primär die Null zu halten. Das macht die Aufgabe für uns nicht einfach. Daneben müssen wir auf Konter und Standards aufpassen. Das ist uns bislang hervorragend gelungen und wir hoffen, dass wir auch die letzten 4 Saisonspiele ohne Niederlage überstehen.
Sie sind noch nicht einmal ein Jahr in Ägypten. In welcher Sprache verständigen Sie sich?
In der Regel auf Englisch, denn mein Arabisch reicht nicht aus (lacht). Ich kenne nur ein paar Wörter. Aber wenn ein Fan auf der Strasse ein Foto will, dann ist das normalerweise eine kurze Angelegenheit und es wird nicht viel gesprochen. Ich halte mich auch nicht allzu oft draussen auf, da wir ein intensives Programm haben. Oft bin ich im Hotel, wo ich meine Ruhe habe und abschalten kann. Beim Team habe ich einen Übersetzer.
Wie empfinden Sie das Leben in der Millionenstadt Kairo?
Es läuft gut, es stimmt für mich. Der Weg vom Hotel auf das Trainingsgelände ist kurz – nur 5 bis 10 Minuten, je nach Verkehr. Ich war auch schon mal bei den Pyramiden (in Gizeh, am Stadtrand von Kairo; die Red.). Dort war ich im Dezember 1988 mit der Nationalmannschaft ein 1. Mal (anlässlich eines Freundschaftsspiels; die Red.). Man sieht, wie die Zeit nicht spurlos an diesen Monumenten vorbeigeht. Wenn ich ausserhalb des Hotels unterwegs bin, dann meistens mit dem Auto. Zu Fuss fast nie – auch, weil es sehr heiss ist tagsüber.
Sie sind nach René Weiler der zweite Schweizer, der Trainer bei Al Ahly ist. Haben Sie sich mit ihm ausgetauscht, bevor Sie das Angebot angenommen haben?
Nein. Das habe ich noch nie gemacht. Ich muss meine eigenen Erfahrungen sammeln, mir selber vor Ort ein Bild machen. Ich möchte unvoreingenommen an eine neue Aufgabe herangehen. Denn jeder Mensch ist anders.
Wie weit planen Sie voraus in Ägypten? Liebäugeln Sie nach dieser erfolgreichen Saison allenfalls mit einer Rückkehr nach Europa?
Ich habe einen Zweijahresvertrag unterschrieben und gehe davon aus, dass ich noch ein Jahr hier bleibe. Ich habe als Coach auch nie gross vorausgeplant, denn ich weiss, wie schnelllebig das Trainerbusiness sein kann. Ich versuche einfach, dort, wo ich angestellt bin, alles zu geben. Und wenn dann beide Seiten zufrieden sind, dann gibt es vielleicht eine Verlängerung. Und wenn nicht, dann muss man zusammensitzen.
Gibt es nach Saisonende Ferien in der Schweiz?
Ich hoffe es. Aber planen kann ich noch nichts. Denn der CAF (das afrikanische Pendant zur Uefa; die Red.) möchte noch eine Partie zwischen dem Champions-League-Gewinner und dem Conference-League-Champion durchführen. Hoffentlich wissen wir bis zur nächsten Woche mehr.
Eine solch kurzfristige Ansetzung wäre in Europa wohl undenkbar ...
Hier kann es eben gerne zu kurzfristigen Änderungen kommen. Das muss man akzeptieren und parat sein, wenn es dann soweit ist.
Mussten Sie an sich arbeiten, dass Sie in solchen Situationen gelassen bleiben?
Ja, durchaus. Das dauerte eine gewisse Zeit. Ich und mein Staff mussten lernen, dass man die Zügel etwas lockerer halten muss. Wir sind hier in einem anderen Land und müssen uns anpassen.
Das Gespräch führte Sarah Schiller – Umsetzung: Reto Kägi.