Der Modus: Mathematik für Fortgeschrittene
Natürlich ist es zu begrüssen, wenn kleine Länder die Chance auf ein grosses Turnier bekommen. Aber 24 Teilnehmer bringen unschöne Nebeneffekte mit sich, das war schon vor 5 Jahren in Frankreich zu erkennen. Um herauszufinden, welcher Gruppendritte nun im Achtelfinal steht, braucht man jede Menge Geduld. Und im Idealfall einen Master-Abschluss in angewandter Mathematik.
Die Polemik: VAR das alles korrekt?
Die harte rote Karte gegen Remo Freuler im Viertelfinal, der umstrittene Penalty nach Raheem Sterlings Fall im dänischen Strafraum oder auch «nur» Gelb gegen Jorginho im Final: Die Schiedsrichter trafen in den Final-Spielen umstrittene, mitunter matchentscheidende Verdikte. Und verzichteten bei den genannten Beispielen darauf, sich die Szenen noch einmal anzusehen. Ob der VAR den Fussball wirklich fairer macht, darf zumindest vereinzelt angezweifelt werden. Dass er jedoch Diskussionen zu Schiri-Entscheiden zunichtemacht, wurde definitiv widerlegt.
Der Star: Das Team
Cristiano Ronaldo? Zwar Torschützenkönig, aber schon im Achtelfinal draussen. Kylian Mbappé? Ebenfalls, und das ohne einen einzigen Treffer erzielt zu haben. Es war nicht unbedingt die EM der Superstars. So standen mit Italien und England zwei Equipen im Endspiel, die sich über Geschlossenheit definieren. Plötzlich glänzten eher unbekannte Spieler, die sich leidenschaftlich für das Team aufrieben. Etwa der später verletzte, pfeilschnelle Leonardo Spinazzola oder Kalvin Philipps, der das englische Mittelfeld zusammenhielt. Dank Solidarität und Einsatz überraschten auch Tschechien und Dänemark.
Das Comeback: Der Knipser
Der Mittelstürmer, der gute, alte «Bomber», der Knipser war bei der EM wieder angesagt. Auch zu bestaunen im Final: England hat Harry Kane, Europameister Italien Ciro Immobile – wenngleich beide blass blieben. Als «Neuner» glänzten gegen Frankreich auch Haris Seferovic und dann Mario Gavranovic. Torschützenkönige wurden mit Tschechiens Patrik Schick und Portugals Ronaldo (je 5 Treffer) ebenfalls Vollbluttorjäger.
Die Nervenprobe: Penaltyschiessen
Die Teams verordneten ihren Fans gleich mehrfach die volle Portion Drama. 8 der 15 Partien in der K.o.-Runde gingen in die Verlängerung, 4 davon ins Penaltyschiessen. Spanien, Italien und die Schweiz mussten die Nervenprobe vom Punkt gar je zweimal über sich ergehen lassen. Auch weil Gianluigi Donnarumma dabei zum Penaltykiller avancierte, wurde er zum besten Spieler des Turniers gewählt.
Die Aufreger: Der politische Sport
Die Debatte um die Regenbogenfarben war das politische Thema. Die Münchner Arena sollte beim Vorrundenspiel Deutschlands gegen Ungarn in den Farben der Pride-Bewegung strahlen. Die Uefa liess dies nicht zu und verstrickte sich bei der Argumentation in Widersprüche. Stattdessen verbreiteten ungarische Ultras rassistische und homophobe Parolen. Zwar wurde Ungarn zu 3 Geisterspielen verdonnert, doch der Schaden war angerichtet.
Auch der Umgang der Uefa mit dem Kollaps von Christian Eriksen wurde harsch kritisiert. Während die Kameras bei jedem ungeliebten Flitzer jeweils schnell wegschwenken, hielt man beim Zusammenbruch des Inter-Stars voll drauf – Zoom inklusive. Genauso irritierend war, dass die Dänen und Gegner Finnland vor folgende Wahl gestellt wurden: Die Partie entweder wenige Stunden nach dem Drama oder am nächsten Mittag fortsetzen.
Die Sorge: Wie weit kam Corona?
55'000 Fans in Budapest, 60'000 beim Endspiel im Wembley: Die Bilder von den Rängen der EM-Stadien begeisterten und verstörten zugleich. Endlich fühlte sich Fussball wieder wie Fussball an, aber die Angst vor dem Virus schwang immer mit. Schwer vorstellbar, dass bei all den Feierlichkeiten um die Spiele, bei der Anreise und in den Bars nicht Corona zum eigentlichen und traurigen Gewinner des Turniers wurde. Das wahre Ausmass wird sich erst in einigen Wochen zeigen.