Auf dem Sitz hält sie längst nichts mehr. Léa Sprunger, bei der WM als Expertin bei RTS im Einsatz, kommentiert im Stehen. Doch plötzlich weicht ihr Lachen im Gesicht einer besorgten Miene. Ihre gute Freundin Femke Bol ist in der 400-m-Mixed-Staffel kurz vor der Ziellinie heftig gestürzt, statt einer Goldmedaille um den Hals trägt die Schlussläuferin der Niederlande Schürfungen und einen blockierten Nacken davon.
Ein Bild mit Symbolcharakter. Oder wie Sprunger es wenig später formuliert: «Es zeigt, dass Femke auch nur ein Mensch ist.»
Auf der Bahn wirkt die 23-jährige Wunderläuferin tatsächlich wie eine Ausserirdische. An der EM im vergangenen Jahr war sie mit 3 Goldmedaillen (400 m, 400 m Hürden und Staffel) der gefeierte Star. Auch zwei WM-Silbermedaillen und Olympiabronze hat sie in ihrem jungen Alter bereits gewonnen. In dieser Saison dominiert Bol die 400 m Hürden nach Belieben und unterbot vor einem Monat beim Diamond-League-Meeting im britischen Gateshead ihren eigenen Europarekord.
Eine Athletin mit klarer Vision
«Femkes Talent ist nicht physischer oder genetischer Natur. Natürlich ist sie eine grosse Athletin und bringt gute Voraussetzungen mit, aber was bei ihr heraussticht, ist ihr Commitment», erklärt ihr Schweizer Coach Laurent Meuwly. «Für mich als Trainer ist diese Zusammenarbeit äusserst interessant. Sie ist sehr selbständig und denkt mit, bringt sich gerne selbst im Training ein», so Meuwly weiter.
Diese Eigenschaft streicht auch Sprunger heraus. Weil ihr langjähriger Trainer 2019 von Swiss Athletics zum holländischen Verband wechselte, trainierte sie ebenfalls in Holland – und mit Bol. «Zu Beginn war ich noch besser als sie», lacht die Europameisterin über 400 m Hürden von 2018, «aber ich sah schnell, dass sie in andere Dimensionen vorstossen würde.»
Mittlerweile ist Bol in ihrer Parade-Disziplin die zweitschnellste Frau der Geschichte. Die überragenden Zeiten in diesem Jahr verdankt sie auch einer Rhythmus-Umstellung. «Wir haben im letzten Jahr gemerkt, dass wir mit den 15 Schritten am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Sie lief zu nahe an die Hürden heran. Im Herbst haben wir uns entschieden, dies zu ändern», erläutert Meuwly.
Wie gut sie die neue Schrittfolge bereits umsetzen kann, hat Bol heuer schon mehrfach bewiesen. Ihr Coach zeigt sich durchaus zufrieden, sein Blick geht aber bereits weiter voraus. «Bis zu den Olympischen Spielen in Paris bleiben uns noch 12 Monate. Es gilt, die Lücke zu Sydney McLaughlin zu schliessen. Noch fehlen uns 8 Zehntel zum Weltrekord», lautet Meuwlys Kampfansage.
Kein Duell der Dominatorinnen
Die angesprochene McLaughlin-Levrone ist die aktuelle Weltrekordhalterin – und grosse Abwesende in Budapest. Die Amerikanerin, die in dieser Saison auf die 400 m flach setzt, musste die Titelkämpfe wegen Kniebeschwerden sausen lassen.
Bahn frei also für Bol? Es käme einer Sensation gleich, würde am Donnerstagabend auf der Anzeigetafel auf Platz 1 ein anderer Name aufleuchten. Doch wie schnell es gehen kann, hat die Überfliegerin am vergangenen Samstag am eigenen Leib erfahren müssen.