Die Rufe nach einer Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio werden lauter. IOC-Präsident Thomas Bach verweist aber darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt drastische Massnahmen noch nicht notwendig seien. Bis zur Eröffnungsfeier bleiben dem Internationalen Olympischen Komitee noch gut 4 Monate.
Das Zeitfenster ist trotzdem begrenzt. Es gibt viele Gründe für eine sofortige Verschiebung, aber auch für ein Festhalten an den Olympia-Plänen.
WAS FÜR EINE SOFORTIGE VERSCHIEBUNG SPRICHT:
- Gesundheit: Die Pandemie wird bis zur Eröffnungsfeier (24. Juli) kaum weltweit unter Kontrolle sein. Bei den Spielen kommen rund 11'000 Athleten und Tausende Fans, Betreuer und Journalisten aus der ganzen Welt zusammen – viele im olympischen Dorf. Es drohen neue Infektionen und womöglich neue Ansteckungswellen bei der Rückkehr aus Tokio.
- Training: Viele Athleten, vor allem in Europa und den USA, sind beim Training stark eingeschränkt. Sporthallen und Schwimmbäder sind geschlossen, es gibt in etlichen Ländern Ausgangssperren. Training in den eigenen vier Wänden ist suboptimal. Dabei beginnt für viele Athleten die entscheidende Vorbereitungsphase auf Olympia. Dagegen kehren andere Länder wie China nach Abklingen der Epidemie wieder in den geregelten Alltag zurück.
- Dopingkontrollen: In vielen Ländern herrscht ein Einreisestopp. Die Welt-Anti-Doping-Agentur kann kaum für regelmässige Kontrollen sorgen. Was ist etwa mit Russland, das in der Vergangenheit in zahlreiche Dopingskandale verstrickt war und seine Grenzen dicht gemacht hat? Oder China, das bei einer Einreise eine 14-tägige Quarantäne vorsieht?
- Qualifikation: Erst rund die Hälfte der Sportler haben sich qualifiziert. Viele Quali-Turniere wurden abgesagt oder sollen kurz vor Tokio nachgeholt werden. Bach kündigte zwar grosszügige Härtefall-Regelungen an, aber was ist mit Teamsportarten wie Handball? Bei den Männern haben erst 6 von 12 Mannschaften ihre Teilnahme sicher. Im Juni sollen nun im Hauruck-Verfahren die Quali-Turniere nachgeholt werden. Mit Teams aus Europa, bei denen aktuell alles still steht.
WAS GEGEN EINE SOFORTIGE VERSCHIEBUNG SPRICHT:
- Zeitrahmen: In China ist um die Jahreswende herum das Virus ausgebrochen. Inzwischen zählt das Land – auch dank der sehr strikten Massnahmen – kaum Neuinfektionen, also gut 3 Monate nach Ausbruch der Epidemie. Wäre der Zeitrahmen auch auf andere Länder wie in Europa übertragbar, wäre ein geregelter Sportbetrieb tatsächlich denkbar.
- Terminprobleme: Olympische Spiele wären nicht so einfach um ein Jahr zu verschieben wie eine Fussball-EM. Grosse Terminkollisionen gab es für die Uefa nicht. Mit Ausnahme der Klub-WM sind es eigene Veranstaltungen, die neu terminiert werden müssen. Dagegen sind viele Welt- und Europameisterschaften, Weltcups und sonstige Turniere auf den olympischen Zeitplan abgestimmt.
- Symbolischer Wert: Olympia setzte schon immer auf die Kraft der Symbole. Olympische Spiele nach Überstehen der Pandemie könnten auch ein Zeichen des Aufbruchs sein.
- Bedeutung: Für Verbände und Sportler spielen die Olympischen Spiele eine entscheidende Rolle – sportlich, aber auch finanziell. «Eine Absage wäre die am wenigsten faire Lösung. Sie würde den olympischen Traum von 11'000 Athleten aus 206 Nationalen Olympischen Komitees und dem IOC-Flüchtlingsteam zerstören», sagte Bach in einem Interview mit dem SWR.