Die Seine ist ein Strom voller Widersprüche: französisches Heiligtum und fürchterliche Kloake, Traumkulisse und olympischer Sicherheits-Albtraum. In dieser Widersprüchlichkeit steht der Fluss im Herzen der alten Revolutionsstadt Paris als Schauplatz einer revolutionären Eröffnungsfeier sinnbildlich für Sommerspiele, die in den kommenden 16 Tagen einen kapitalen Spagat schaffen wollen: Olympia 2024 soll ein unpolitisch-heiteres Friedenssportfest inmitten weltweiter Krisenherde werden.
«Ich habe das am Anfang für eine Schnapsidee gehalten», sagt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron über die monumentale Zeremonie, mit der am Freitagabend die 33. Olympischen Sommerspiele eröffnet werden.
Kein Stadion, wie es bislang unumstössliche Olympia-Tradition war, gibt die Bühne für das Weltereignis. Stattdessen schippern 600 Boote 6 Kilometer lang die Seine hinab, vorbei an den wichtigsten Landmarken der Metropole, das zeremonielle Epizentrum liegt zwischen Trocadéro und Eiffelturm.
Keine Generalprobe
Dort werden Macron und IOC-Präsident Thomas Bach die Spiele eröffnen. Flaggen werden gehisst, Reden gehalten, es wird gesungen, getanzt, das Feuer entzündet. Das alles ohne Generalprobe – die Gegebenheiten liessen einen Komplett-Testlauf nicht zu.
Der riesige Bereich am Seine-Ufer ist seit Tagen Semi-Sperrgebiet und wird am Freitag hermetisch abgeriegelt. Ursprünglich 600'000 Menschen sollten die Feier an Ort und Stelle verfolgen. Wegen Sicherheitsbedenken wurde das Publikumsaufkommen auf 316'000 reduziert, darunter 104'000 Besitzer von bis zu 2700 Euro teuren Tickets. Immer noch eine schiere Menschen-Unmenge, um in Zeiten globalen Terrors den Schlimmstfall ausschliessen zu können. Versuchen werden dies 45'000 Polizeikräfte und 15'000 Soldaten.
Piaf-Songs auf der Seine
Sorgen bereitet auch die Seine selbst. Die Wasserqualität war im Sommer 2023 derart mies, dass Testwettkämpfe im Schwimmen und Triathlon abgesagt wurden – es klang, als würde in der müffelnden Brühe akute Auflösungsgefahr drohen. Und selbst wenn nicht: Internationale Eröffnungsfeier-Stars, die pikiert mit Taschentuch vor der Nase singen, waren ein Schreckensszenario.
So schlimm wird es nicht kommen, und das Bühnenprogramm klingt dufte. US-Megastar Lady Gaga und Chanteuse Céline Dion sollen Piaf-Songs vortragen.
Ein Fest inmitten globaler Unruhen
Die Zeremonie dürfte auch nachdenkliche Momente enthalten, zumal solche, die der aktuellen Weltlage geschuldet sind. Auch wenn die Bach'sche Friedensinstanz die Vermischung von Sport und Politik stets verhindern will, spiegelt doch die Gästeliste den Status quo der globalen Unruhe wider.
- Wladimir Putin, russischer Präsident und Ex-Bach-Intimus, ist wegen des Überfalls auf die Ukraine natürlich nicht eingeladen worden.
- Über das Erscheinen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gibt es keine verlässlichen Informationen.
- Chinas Staatschef Xi Jinping lässt sich vertreten.
- US-Präsident Joe Biden schickt Ehefrau Jill.
- Israels Präsident Isaac Herzog steht angesichts drohender Proteste unter Maximalschutz.
Die heikle politische Gemengelage lässt erwarten, dass auch die ersten Spiele der Nach-Corona-Ära keine uneingeschränkt heiteren werden dürften. Wie beschwert das 3. Pariser Olympia ausfällt, dafür könnte das eröffnende Spektakel auf der widersprüchlichen Seine ein Gradmesser werden.