Es braucht wohl noch ein paar Tage, bis Chiara Leone richtig realisiert, welch genialer Coup ihr am Freitagmorgen auf der Schiessanlage in Châteauroux gelungen ist. Im ersten Interview nach dem Gewinn der Goldmedaille im Dreistellungskampf sagte die Fricktalerin gegenüber SRF: «Ich finde noch nicht die richtigen Worte, habe noch nicht ganz realisiert, was passiert ist.»
Sowohl der scheidende Leistungssportchef Daniel Burger als auch Leones Trainer Enrico Friedemann attestieren ihrem Schützling «eisernen Willen». Burger sagt gar, dass die 26-Jährige «mit weniger Talent gesegnet sei, wie andere». Deshalb kommt es nicht von ungefähr, wenn Leone sagt: «Ich habe jetzt diese Medaille, für die ich so hart gearbeitet habe. Ich bin überglücklich.»
Harte Arbeit seien auch die fünf Einzelschüsse in der Ausscheidungsrunde gewesen, so Leone: «Ich bin froh, dass diese so gut gekommen sind.» Sie hätte zwar im Vorfeld der Olympischen Spiele davon geträumt, Nachfolgerin von Nina Christen zu werden. «Aber dass es so gut aufgeht, hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten», gibt die amtierende Europameisterin zu.
Leones Selektion löste Polemik aus
Dass Leone überhaupt in Châteauroux an den Start gehen durfte, war keine Selbstverständlichkeit. Denn die Schweiz hatte sich für den Dreistellungskampf der Frauen zu viele Quotenplätze erkämpft (startberechtigt sind maximal zwei Schützinnen pro Nation). Die Verantwortlichen mussten eine schwierige Entscheidung fällen – und selektionierten Leone für Paris, während das 15-jährige Talent Emely Jäggi zu Hause bleiben musste.
Ein Entscheid, welcher nicht überall auf Verständnis stiess und eine kleinere Polemik auslöste. Leones Gold gab den Verantwortlichen nun recht oder wie es Friedemann sagt: «Wir waren Kritik ausgesetzt. Aber unser Entscheid war der richtige.» Gleich tönt es von der frisch gebackenen Olympiasiegerin: «Ich habe allen Kritikern bewiesen, dass es die richtige Entscheidung war.»
Die Schiesstasche war dieses Mal dabei
Dass die Schweiz nach Tokio auch in Paris die Olympiasiegerin im Dreistellungskampf stellt, ist nur mit einem funktionierenden System möglich. Oder mit Friedemanns Worten: «Chiaras Gold bedeutet mir alles. Es ist der Lohn für das, was wir aufgebaut haben.»
Funktioniert hat dieses Mal auch der Materialtransport vor dem Grossanlass. An der EM Ende Mai in Kroatien blieb nämlich die Schiesstasche der Aargauerin versehentlich in Biel. Leones Eltern waren es, welche die Ausrüstung der Tochter mit dem Auto ins über 1000 km entfernte Osijek fuhren und so den Gold-Gewinn überhaupt ermöglichten.
Leone sagt zu dieser Episode: «Kurz nach der EM hatte ich Geburtstag und meine Freunde beschenkten mich mit Smart Tags (Chips, welche an Gegenständen befestigt werden, damit man diese wiederfindet; Anm. d. Red.). Deshalb ist meine Schiesstasche nun getagt und ich wusste, dass ich sie dabei hatte.» Trotzdem gingen Leone und ihr Trainer auf Nummer sicher: «Während der Fahrt haben wir uns dreimal vergewissert, dass wir die Tasche auch wirklich dabei haben.»